mit Bezug zu: Milano: Feltrinelli, Paris: Éditions de Minuit, Künster*innenkommunen: Berlin-Wilmersdorf, "Warenform", Wien: Saturn (Max Adler)
Julius Braunthal: "Auf der Suche nach dem Millenium", Band 1, Nürnberg 1948, S. 213, zitiert nach Minoru Kurata: "Rudolf Hilferding und Das Finanzkapital", Wien: Koppanyi 2009, S. 102: "Julius Braunthal, ein österreichischer Sozialdemokrat, ging im September 1912 nach Berlin [...]".
S. 103f.:
"[Karl] Kautsky: Wir haben damit unseren Sieg vom Januar bestätigt. Bei den nächsten Wahlen werden wir vielleicht nahe an der Mehrheit sein. Damit wird sich für die Regierung eine unmögliche Situation ergeben. Sie kann einen roten Reichstag nicht dulden. So wird also zum offenen Angriff gegen uns übergehen, die Verfassung brechen und mit einem Staatsstreich das allgemeine Wahlrecht aufheben. Dann bleibt und nichts anders als der Generalstreik übrig, denn dann haben wir eine revolutionäre Situation.
Braunthal: Aber haben wir sie nicht schon vor zwei Jahren verpaßt damals, als es un den preußischen Landtag ging?
Hilferding: Gewiß nicht. Rosa Luxemburg hat geglaubt, daß die ungeheure Ma[s]chine des preußischen Militarismus durch politische Streiks zerbrochen werden kann; das war Unsinn. Und wären wir damals zum äußersten gegangen, dann hätten wir der Reaktion nur den Vorwand zum Staatsstreich geliefert, und die bewaffnete Staatsgewalt hätte uns zermalt.
Braunthal: Wie kann man eine solche Bewegung zermalen?
Hilferding: Sie dürfen nicht vergessen, daß es ein Unterschied ist, ob man als friedlicher Bürger in einen politischen Demonstration durch die Straßen zieht oder ob man mit den Waffe in den Hand zu kämpfen hat. Generalstreik --- das heißt Bürgerkrieg.
Braunthal: Aber wenn er unvermeidlich ist, warum dann warten, bis die anderen den geistigen Moment für Losschlagen wählen? Ist es nicht klüger, selbst den Moment dafür zu wählen?
Kautsky: Ich weiß nicht, welcher Momment für einen revolutionären Angriff der günstigste ist. Jedenfalls bin ich gegen Präventivkrieg und gegen Präventivrevolution.
Eckstein: Ein Generalstreik ist ohne den guten Willen der Gewerkschaften nicht möglich. Die Gewerkschaften sind jedoch entschieden gegen politische Streiks. Sie haben Riesenorganisationen aufgebaut und wollen sie nicht, wie sie sagen, in einem Abenteuer aufs Spiel setzen.
Braunthal: Werden sie aber mittun, wenn si[ch] eine wirkliche revolutionären Situation ergibt?
Hilferding: Nicht gerne. Doch dann wird ihnen nichts anders übrig bleiben. Die gereizten Arbeiter werden sie nicht fragen; sie werden einfach streiken. Sie müssen die deutschen Arbeiter noch kennenlernen.
Sie sind die gesetzestreuesten Bürger, solange es Gesetz gibt und solange sie eine Möglichkeit sehen, mit gesetzlichen Mitteln vorwärts zukommen. Wenn aber die Regierung die Gesetze brechen sollte, dann werden Sie es erleben, wie die Arbeiter darauf reagieren sie werden alles krumm und lahmschlagen".
S. 104, Anm. 39: "[Karl] Kautskys Haus befand sich in Charlottenburg, Wilmersdorfer Str. 42".
"Produktion" ⇆ "Konsumtion"
Rudolf Hilferding: "Das Finanzkapital", in: "Blätter der Theorie und Politik des wissenschaftlichen Sozialismus", hrsg. von Rudolf Hilferding und Max Adler, 3. Band, Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung 1923 [books.google.com], S. 299f.:
"Diese Verwandlung der Produkte in Waren bewirkt aber die Abhängigkeit der Produzenten vom Markte und macht aus der im Prinzip schon in der einfachen Warenproduktion vorhandenen Regellosigkeit der Produktion infolge der Selbständigkeit der Privatwirtschaften erst jene Anarchie in der kapitalistischen Produktion, die mit der Verallgemeinerung der Warenproduktion, mit der Ausweitung der lokalen und zersplitterten Märkte zum umfassenden Weltmarkt, die zweite allgemeine Bedingung der Krisen herstellt.
Die dritte allgemeine Bedingung der Krisen stellt der Kapitalismus her durch die Trennung der Produktion von der Konsumtion. Er trennt einmal den Produzenten von seinem Produkt und reduziert ihn auf jenen Teil des Wertprodukts, der ein Aequivalent für den Wert der Arbeitskraft darstellt. Er schafft so in den Lohnarbeitern eine Klasse, deren Konsumtion in keinem unmittelbaren Verhältnis zur Gesamtproduktion steht, sondern nur zu dem Teil der Gesamtproduktion, der gleich ist dem Lohnkapital. Das Produkt, das die Lohnarbeiter erzeugen, ist aber nicht ihr Eigentum. Ihre Produktion dient daher nicht dem Zweck ihrer Konsumtion. Umgekehrt ist ihre Konsumtion und deren Ausmass abhängig von der Produktion, auf die sie keinen Einfluss haben. Die Produktion des Kapitalisten dient aber nicht der Bedarfsdeckung, sondern dem Profit. Die Realisierung und Vermehrung des Profits ist der immanente Zweck kapitalistischer Produktion. Das bedeutet, dass für das Geschick der Produktion, für ihr Ausmass, ihre Verminderung oder Vermehrung, nicht die Konsumtion und deren Wachstum das Entscheidende ist, sondern die Realisierung des Profits. Es wird produziert, um einen bestimmten Profit zu erzielen, einen bestimmten Verwertungsgrad des Kapitals zu erhalten. Die Produktion wird damit abhängig nicht von der Konsumtion, sondern von dem Verwertungsbedürfnis des Kapitals und eine Verschlechterung der Verwertungsmöglichkeit bedeutet eine Einschränkung der Produktion.
Es bleibt auch in der kapitalistischen Produktionsweise ein allgemeiner Zusammenhang zwischen Produktion und Konsumtion, der ja als natürliche Bedingung allen Gesellschaftsformationen gemeinsam ist. Während aber in der Bedarfdeckungswirtschaft die Konsumtion die Ausdehnung der Produktion bestimmt, die unter diesen Verhältnissen ihre Schranke nur findet an dem erreichten Stand der Technik, wird in der kapitalistischen Produktion umgekehrt die Konsumtion bestimmt durch das Ausmass der Produktion. Dieses aber ist begrenzt durch die jeweilige Verwertungsmöglichkeit, durch den Verwertungsgrad des Kapitals, durch die Notwendigkeit, dass das Kapital und sein Zuwachs eine bestimmte Profitrate abwerfen. Die Ausdehnung der Produktion stösst hier an eine rein gesellschaftliche, nur aus dieser bestimmten Gesellschaftsstruktur entspringende und nur dieser eigentümliche Schranke. Die Krisenmöglichkeit entspringt zwar schon aus der Möglichkeit der ungeregelten Produktion, also der Warenproduktion überhaupt, aber ihre Wirklichkeit nur aus einer ungeregelten Produktion, die zugleich das unmittelbare Verhältnis von Produktion und Konsumtion, das andere Gesellschaftsformationen auszeichnet, aufhebt und zwischen Produktion und Konsumtion die Bedingung der Verwertung des Kapitals zu jeweils bestimmter Rate einschiebt.
Der Ausdruck Ueberproduktion von Waren ist überhaupt an sich so nichtssagend wie der Ausdruck 'Unterkonsumtion'. Man kann von einer Unterkonsumtion streng genommen nur in physiologischem Sinne sprechen; der Ausdruck hat dagegen keinen Sinn in der Oekonomie, wo er nur besagen könnte, dass die Gesellschaft weniger konsumiert als sie produziert hat. Es ist aber nicht einzusehen, wieso das möglich, wenn nur in der richtigen Proportion produziert worden. Da das Gesamtprodukt gleich ist dem konstanten Kapital plus dem variablen plus dem Mehrwert (c+v+m), v ebenso wie m konsumiert werden, die Elemente des verbrauchten konstanten Kapitals sich gegenseitig ersetzen müssen, so kann die Produktion ins Unendliche ausgedehnt werden, ohne zur Ueberproduktion von Waren zu führen, das heisst dazu, dass mehr Waren, bei denen in diesem Zusammenhang und für diese Auffassung nur der Gebrauchswert in Betracht käme, mehr Güter also, produziert werden als konsumiert werden könnten 1)".
S. 300f., Anm. 1: "1) Es ist eine reine Tautologie, zu sagen, dass die Krisen aus Mangel an zahlungsfähiger Konsumtion oder an zahlungsfähigen Konsumenten hervorgehen. Andere Konsumenten, als zahlende, kennt das kapitalistische System nicht, ausge nommen die sub forma pauperis oder die des 'Spitzbuben'. Dass Waren unverkäuflich sind, heisst nichts, als dass sich keine zahlungsfähigen Käufer für sie fanden, also Konsumenten (sei es nun, dass die Waren in letzter Instanz zum Behuf produktiver oder individueller Konsumtion gekauft werden). Will man aber dieser Tautologie einen Schein tieferer Begründung dadurch geben, dass man sagt, die Arbeiterklasse erhalte einen zu geringen Teil ihres eigenen Produkts, und dem Uebelstand werde mithin abgeholfen, sobald sie grösseren Anteil daran empfängt,
ihr Arbeitslohn folglich wächst, so ist nur zu bemerken, dass die Krisen jedesmal gerade vorbereitet werden durch eine Periode, worin der Arbeitslohn allgemein steigt und die Arbeiterklasse realiter grösseren Anteil an dem für Konsumtion bestimmten Teil des jährlichen Produkts erhält. Jene Periode müsste von dem Gesichtspunkt dieser Ritter vom gesunden und 'einfachen' (!) Menschenverstand umgekehrt die Krise entfernen. Es scheint also, dass die kapitalistische Produktion vom guten oder bösen Willen unabhängige Bedingungen einschliesst, die jene relative Prosperität der Arbeiterklasse nur momentan zulassen, und zwar immer nur als Sturmvogel einer Krise. Dazu bemerkt Engels in der Anmerkung: 'Ad notam für etwaige Anhänger der Rodbertusschen Krisentheorie', Marx, 'Kapital', II Seite 406 ff.".
S. 301: "Zudem ist eines klar: Da die Krisen in ihrer periodischen Aufeinanderfolge Produkt der kapitalistischen Gesellschaft sind, so muss ihre Ursache im Kapitalcharakter gelegen sein. Es muss sich um eine Störung handeln, die aus dem spezifischen Charakter der Gesellschaft entspringt. Die enge Basis, die die Konsumtionsverhältnisse der kapitalistischen Produktion bieten, ist aber deshalb allgemeine Bedingung der Krise, weil die Unmöglichkeit, sie zu erweitern, eine allgemeine Voraussetzung der Absatzstockung ist. Wäre die Konsumtion beliebig ausdehnbar, so wäre Ueberproduktion nicht möglich. Aber unter kapitalistischen Verhältnissen bedeutet Ausdehnung der Konsumtion Verminderung der Profitrate. Denn Ausdehnung der Konsumtion der breiten Massen ist gebunden an die Steigerung des Arbeitslohnes. Diese bedeutet aber Verminderung der Mehrwertsrate und daher Verminderung der Profitrate. Steigt daher die Nachfrage nach Arbeitern durch die Akkumulation so stark, dass eine Verminderung der Profitrate eintritt, so dass (als äusserste Grenze) das vermehrte Kapital keinen grösseren Profit abwerfen würde als das unvergrösserte, so muss die Akkumulation unterbleiben, da ja der Zweck der Akkumulation, Vergrösserung des Profits, nicht erreicht würde. An diesem Punkte tritt eben die eine notwendige Voraussetzung der Akkumulation, die nach Erweiterung der Konsumtion, in Widerspruch mit der anderen Bedingung, der nach Realisierung des Profits. Die Verwertungsbedingungen rebellieren gegen die Konsumtionserweiterung und da sie die entscheidenden sind, steigert sich der Widerspruch bis zur Krise. Aber deshalb ist die enge Basis der Konsumtion doch eben nur eine allgemeine Bedingung der Krise, die aus der Konstatierung der 'Unterkonsumtion' durchaus nicht erklärt wird. Am wenigsten ist daraus der periodische Charakter der Krise zu erklären [...]".
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