"Warenform": "Meine dialektische Methode" (MEW 23, 25ff.)

mit Bezug zu: "Warenform" (Alfred Sohn-Rethel)

 

I.***** Vgl. auch zur "dialektischen Methode"

Abb. "Möbius Strip, Taichung Industrial Park", Taiwan 16. August 2020, von Solomon203 unter Creative Commons Lizenz CC BY-SA 4.0. Slavoj Žižek: "Sex and the Failed Absolute", London: Bloomsbury 2020, S. 209: "If the reversal that characterizes the Möbius strip is the key feature of a dialectical process, we should not be suprised to find the minimal form of the Möbius strip in Hegel's theory of repetition: through its mere repetition, a term intersects with its opposite"; S. 228: "This is how the Möbius strip provides a model for what Hegel calls 'negation of negation'".

(1) Leninismus

[a] "Materialismus"

Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin: "Materialismus und Empirokritizismus. Kritische Bemerkungen über eine reaktionäre Philosophie" [Manuskript Februar bis Oktober 1908, EA Moskau: Sweno Mai 1909; im Vorwort der 2. Auflage 1920 als "Polemik gegen die russischen 'Machisten'" - nach Ernst Mach - bezeichnet; Moskau: Verlag für fremdsprachige Literatur 1947, erste deutsche Übersetzung durch Frida Rubiner], Werke, Band 14, Berlin: Dietz 1962, S. 261: "Doch der dialektische Materialismus betont nachdrücklich, daß jede wissenschaftliche These über die Struktur und die Eigenschaften der Materie nur annähernde, relative Geltung hat, daß es in der Natur keine absoluten Schranken gibt, daß die sich bewegende Materie Verwandlungen durchmacht aus einem Zustand in einen anderen, der von unserem Standpunkt aus scheinbar mit dem vorangegangenen unvereinbar ist usw. Mag vom Standpunkt des 'gesunden Menschenverstandes' die Verwandlung des unwägbaren Äthers in wägbare Materie und umgekehrt noch so wunderlich, das Fehlen jeder anderen als der elektromagnetischen Masse beim Ektron noch so 'seltsam', die Beschränkung der mechanischen Bewegungsgesetze auf nur ein Gebiet der Naturerscheinungen und ihre Unterordnung unter die tieferen Gesetze der elektromagnetischen Erscheinungen noch so ungewöhnlich sein usw. - das alles ist nur eine weitere Bestätigung des dialektischen Materialismus. Die neue Physik ist hauptsächlich gerade deshalb zum Idealismus abgeglitten, weil die Physiker die Dialektik nicht kannten".

Karl Korsch: "Lenin's Philosophy. Some additional remarks to J. Harper's recent criticism of Lenin's book 'Materialism and Empirio-Ctiticism'" [EA "Living Marxism", Vol. IV, No. 5, November 1938, S. 138-144], in: Anton Pannekoek [Pseudonym John Harper]: "Lenin as Philosopher" [EA "Lenin als Philosoph. Kritische Betrachtung der philosophischen Grundlagen des Leninismus", Bibliothek der Rätekorrespondenz, Nr. 1, Amsterdam 1938], New York: New Essays 1948, Appendix, S. 141: "The main weakness of Lenin's 'materialistic' criticism of what he called an idealistic (solipsistic, mystical and, in the last instance, plainly religious and reactionary) tendency hidden in the pseudo materialistic and scientific theories of Mach and his followers, is his own inability to go beyond the intrinsic limitations of bourgeois materialism. Much as he talks of the superiority of 'modern' Marxist materialism over the abstract philosophical and mainly naturalistic approach of the early bourgeois materialists, he still conceived this difference between the old and new materialism as a difference not in kind but in degree. At the utmost he described 'modern materialism' as founded by Marx, as a materialism 'immeasurably richer in content, and incomparably better grounded than all previous forms of materialism.' He never conceived of the difference between the 'historical materialism' of Marx and the 'previous forms of materialism' as an unbreachable opposition arising from a real conflict of classes. He conceived it rather as a more or less radical expression of one continuous revolutionary movement. Thus Lenin's 'materialistic' criticism of Mach and the Machians, according to Pannekoek, failed even in its purely theoretical purpose mainly because Lenin attacked the later attempts of bourgeois naturalistic materialism not from the viewpoint of the historical materialism of the fully developed proletarian class, but from a proceeding and scientifically less developed phase of bourgeois materialism****/7".

[b] "Widerspiegelungstheorie"

Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin: "Materialismus und Empiriokritizismus", a.a.O., Werke, Band 14, S. 326, zitiert nach und kommentiert von Hans Jörg Sandkühler: "Streitbarer Materialismus - oder Streit um den Materialismus", in: "Das Argument", 17. Jg., Nr. 92: "Widerspiegelungsdiskussion: Praxis. Streitfragen materialistischer Dialektik", 1975 [inkrit.org], S. 601-628, insb. S. 617f.: "'Das Bewußtsein widerspiegelt überhaupt das Sein - das ist eine allgemeine These des gesamten' (auch vordialektischen, 'anschauenden') 'Materialismus'. Für den Materialismus des marxistischen bewußten Historismus folgt freilich 'daraus, daß die Menschen als bewußte Wesen in gesellschaftlichen Verkehr treten, ... keineswegs, daß das gesellschaftliche Bewußtsein mit dem gesellschaftlichen Sein identisch ist. Wenn die Menschen miteinander in Verkehr treten, sind sie sich in allen einigermaßen komplizierten Gesellschaftsformationen - und insbesondere in der kapitalistischen Gesellschaftsformation - nicht bewußt, was für gesellschaftliche Verhältnisse sich daraus bilden, nach welchen Gesetzen sie sich entwickeln usw.' Denken und Sein sind unterschieden in der Einheit des Seins, potenziert unterschieden in der widersprüchlichen Einheit des gesellschaftlichen vorsozialistischen Sein. [...] Was die 'Lenin-als-Metaphysiker-Gilde' nicht in den Kopf bekommen kann, ist, daß der Materialismus dieser Materie-Konzeption 'praktischer Materialismus' ist, daß er niemals 'Materie-an-sich' ausheckt, sondern die für das Bewußtsein als dessen Basis relevante Materie historisch/dialektisch/ontologisch analysiert. Der Materialismus der Materie-Konzeption ist als Ontologie/Gnoseologie praktisch, weil er die Objektivität erkenntnisgesteuerter Praxis beweist und Praxis rational anleite".

Josef König: "Sein und Denken. Studien im Grenzgebiet von Logik, Ontologie und Sprachphilosophie", Halle: Niemeyer 1937, S. 119: "Von daher ist nun aber ein Spiegel in der Tat streng ein ausnehmend besonderes sichtbares Ding", in kritischen Bezug zu Lenin gesetzt von Hans Heinz Holz: "Dialektik und Widerspiegelung", Köln: Pahl-Rugenstein 1983, S. 51ff.****/8.

[c] "Widerspruch"     { 1., 2., 3.,     ... 3. Produktion ⇆ Konsumtion, 4. Kapital ⇆ Arbeit }

Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin: "Ergänzungen zum Plan des Buches" [Manuskript 1915/1916: "Hefte zum Imperialismus", EA Lenin-Sammelband XXXI, 1938; Vorarbeit zu "Империализм, как новейший этап капитализма", Petrograd: Shisn i Snanije 1917, dt. als "Der Imperialismus als jüngste Etappe des Kapitalismus", Hamburg: Carl Hyon Nachf. Louis Cahnbley 1921], Werke, Band 39, Berlin: Dietz 1965, Heft "𝛾", S. 228 ("Der gesamte hier folgende Wortlaut der Ergänzungen zum Plan des Buches ist von W. I. Lenin mit Bleistift durchgestrichen. Die Red."): "Drei Widersprüche des Kapitalismus: 1. gesellschaftliche Produktion und private Aneignung, 2. Reichtum und Armut, 3. Stadt und Land, inde [daher] - Kapitalexport".

Wolfgang Fritz Haug: "Kapital-Lektüre", in: "Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus", Band 7/I "Kaderpartei - Klonen", hrsg. von Wolfgang Fritz Haug u.a., Hamburg: Argument 2008, Sp. 324-348, insb. Sp. 337 (3. "Interpretation und Epistemologie"): "Die drei strukturellen Hauptgründe sind: 1. der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung, dessen Analyse den gesamten Theorieaufbau wie eine krisentheoretische Matrix fundiert; 2. der systemische Widerspruch, die Mehrwertquelle lebendige Arbeit in permanenter Produktivkraftentwicklung zu reduzieren; 3. die private Aneignung und Rekapitalisierung (Akkumulation) des Mehrwerts als Triebkraft aller kapitalistischen Aktivität, der die Überproduktion von Kapital entspringt. Die Bewegungsformen aller drei Widersprüche gehen mit der Zerstörung von Kapital und produziertem Reichtum sowie dem Raubbau an der 'Erde und dem Arbeiter' (23/530) einher. [...] 4. Das Anfangsproblem - 'Die Untersuchungsmethode [méthode d'analyse], deren ich mich bedient habe und die auf ökonomische Probleme noch nicht angewandt wurde, macht die Lektüre der ersten Kapitel ziemlich schwierig', schreibt Marx im Vorwort zur französischen Ausgabe (23/31; II.7/9). Es empfiehlt sich, den Klagen über diese Schwierigkeit nachzugehen, um die Lösungsversuche beurteilen zu können".

Schlußrede des Vorsitzenden Mao Tse-tung auf dem VII. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas, 11. Juni 1945, in: Mao Zedong: "Der große strategische Plan", hrsg. von Joachim Schickel, Frankfurt am Main: Edition Voltaire 1968, S. 55: "Gegenwärtig bestehen in der alten Welt, wie Stalin vor langer Zeit festlegte, nach wie vor die drei großen Widersprüche: erstens der Widerspruch zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie in den imperialistischen Ländern, zweitens der Widerspruch zwischen den imperialistischen Mächten, drittens der Widerspruch zwischen den kolonialen und halbkolonialen Ländern einerseits und den imperialistischen Metropolen andererseits".

Bini Adamczak: "Gestern Morgen. Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft" [EA 2011], Münster: Edition Assemblage 2021, S. 57f.: "Obwohl durch den offiziellen Sitzungsleiter klargestellt, dass es sich nicht um eine Tschistka, Reinigung, handelt [Müller R., 324], handelt es sich doch um fast nichts anderes, legen die Genossinnen, die nacheinander bildlich in die Mitte der Versammlung treten müssen, Bekenntnisse ab von ihrer Tätigkeit der letzten und vorletzten, der frühesten Zeit, die vor allem Geständnisse ihrer Versäumnisse sind, ihrer unverzeihlichen Fehler".

S. 63: "Aber so einfach lässt sich die 'grausam-gründliche' 'Selbstkritik' Marx' (MEW 8, 118), nicht mehr von der gründlich-grausamen Selbstkritik Stalins abtrennen, dessen semantisches Erbe sie als Selbstkritik bildet".

MEW 8, "Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte" [EA 1852], Berlin: Dietz 1972, S. 118: "Proletarische Revolutionen dagegen, wie die des neunzehnten Jahrhunderts, kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eignen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner nur niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde sauge und sich riesenhafter ihnen gegenüber wieder aufrichte, schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältnisse selbst rufen 'Hic Rhodus, hic salta! Hier ist die Rose, hier tanze!'".

[d] "Selbstbestimmungsrecht aller Nationen"

Olaf Kistenmacher: "Vom 'Judenkapital' zur 'jüdisch-faschistischen Legion'. Zur Entwicklung des 'Antizionismus' in der Kommunistischen Partei Deutschlands der Weimarer Republik, 1925-1933", in: "Maulwurfsarbeit. Aufklärung und Debatte, Kritik und Subversion", hrsg. von associazione delle talpe, Berlin 2010, S. 84-95, online bei Freiburg: Ça Ira 2018, S. 88:

"Spätestens seit dem Beschluss des Internationalen Kongresses in London 1896 gehörte das 'Selbstbestimmungsrecht aller Nationen' zum Selbstverständnis der Zweiten Internationale (Lenin 1914 ['Über das Selbstbestimmungsrecht der Völker, in: 'Werke', Band 20, Dezember 1913-August 1914, Berlin: Dietz 1968, S. 395-461, Zitat S. 435]). Die Dritte Internationale hatte die Forderung aus dem Kommunistischen Manifest 'Proletarier aller Länder, vereinigt euch!' um ein weiteres angebliches revolutionäres Subjekt erweitert: 'Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker, vereinigt euch!' ('Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker der Welt, vereinigt euch' Von G. Sinowjew', R[ote] F[ahne] 153, 8. Juli 1925; Jacob 1994 [insb. S. 14])".

(2) Rosa Luxemburg: "Die Akkumulation des Kapitals", 1913     { 1. Warenform ⇆ Gebrauchswert, 2. Akkumulation ⇆ ... }

Rosa Luxemburg: "Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus", Berlin: Buchhandlung Vorwärts Paul Singer G.m.b.H. 1913 [Ausgabe Berlin: Vereinigung Internat. Verl.-Anst. 1923 in digitale-sammlungen.de]; "Die Akkumulation des Kapitals oder Was die Epigonen aus der Marxschen Theorie gemacht haben. Eine Antikritik", Leipzig: Frankes Verlag G.m.b.H. 1921 [digitale-sammlungen.de], S. 117f. mit Bezugnahme auf eine Besprechung des ersten Bandes durch Gustav Eckstein im "Vorwärts", "im Januar 1913" [Gustav Eckstein: "Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals. Eine Besprechung", 16. Februar 1913, "Vorwärts", 30. Jg., Nr. 40, 3. Beilage, S. 13], "der mich [...] wegen der 'Katastrophentheorie' denunzierte": "Der heutige Imperialismus ist nicht, wie im Bauerschen Schema, der erste Auftakt zur Expansion des Kapitals, sondern nur der letzte Abschnitt seines geschichtlichen Expansionsprozesses: er ist die Periode der allgemeinen verschärften Weltkonkurrenz der kapitalistischen Staaten um die letzten Reste des nichtkapitalistischen Milieus der Erde. [...] Wie die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien nicht bloß eine prometheische Leistung des menschlichen Geistes und der Kultur war, als welches sie in der liberalen Legende erscheint, sondern, unzertrennlich davon, eine Serie herodischer Massenmorde an den primitiven Völkern der Neuen Welt und grandiosen Sklavenhandels mit den Völkern Afrikas und Asiens, so ist in der imperialistischen Schlußphase die wirtschaftliche Expansion des Kapitals unzertrennlich von der Serie Kolonialeroberungen und Weltkriege, die wir erleben. [...] Der Glaube an die Möglichkeit der Akkumulation in einer 'isolierten kapitalistischen Gesellschaft', der Glaube, daß 'der Kapitalismus auch ohne Expansion denkbar' sei, ist die theoretische Formel einer ganz bestimmten taktischen Tendenz. Diese Auffassung zieht dahin, die Phase des Imperialismus nicht als historische Notwendigkeit, nicht als entscheidende Auseinandersetzung um den Sozialismus zu betrachten, sondern als boshafte Erfindung einer Handvoll Interessenten".

(3) Korsch-Zirkel, 1922ff.

Karl Korsch: "Kernpunkte der materialistischen Geschichtsauffassung. Eine quellenmäßige Darstellung", Berlin / Leipzig: Viva (Vereinigung internationaler Verlags-Anstalten****/9) 1922 [dnb.de], besteht aus einem "Vorwort", einem Aufsatz "Der Standpunkt der materialistischen Geschichtsauffassung", "Kernsätze aus den Quellen (Marx, Engels und andere)" mit Unterabschnitten "Die Wendung zum Diesseits", "Gesellschaft", "Oekonomie", "Ueberbau I: Der soziale und politische Lebensprozeß", "Ueberbau II: Der geistige Lebensprozeß", "Entwicklung I: Die materialistische Dialektik", "Entwicklung II: Entwicklung als Werden", "Entwicklung III: Entwicklung als Tat (Klassenkampf, Revolution)" und schließlich fünf Anhängen: aus dem Nachwort zur 2. Auflage 1873, aus einer Auseinandersetzung mit dem russischen Soziologen Michaylowsky, "enthalten in einem Brief Marxens aus dem Jahre 1877", "Elf Thesen über Feuerbach. (Niedergeschrieben in Brüssel im Frühjahr 1845)", "Aus der 'Einleitung' zur 'Kritik der politischen Oekonomie'. (Stichwörter für künftige Ausarbeitung, aufgezeichnet im Jahre 1857)" und "Friedrich Engels über die materialistische Geschichtsauffassung. (Brief an Franz Mehring vom 14. Juli 1893)".

"Vorwort", S. 5: "Es gibt unter den Schriften über die materialistische Geschichtsauffassung, die in deutscher Sprache vorliegen, nur sehr wenige Werke, in denen der Grundgedanke von Marx nicht entweder außerordentlich versimpelt oder aber förmlich entmannt worden ist. Gegen die Versuche der einen Seite, das Prinzip der 'materialistischen Dialektik' in eine grob 'ökonomistische' oder auch darwinistisch-biologistische Metaphysik umzuwandeln, hat die andere Seite allzuhäufig mit nichts anderem antworten können, als mit der Behauptung, daß 'die sogenannte materialistische Geschichtsauffassung mit dem Materialismus gar nichts zu schaffen habe' (Max Adler)."

Friedrich Engels an Franz Mehring, Brief vom 14. Juli 1893, S. 55: "Wenn ich etwas auszusetzen finde, so ist es, daß Sie mir mehr Verdienst zuschreiben, als mir zukommt, selbst wenn ich alles einrechne, was ich möglicherweise selbständig aufgefunden hätte - mit der Zeit -, was aber Marx bei seinem rascheren coup d'oeil und weiterem Ueberblicke viel schneller entdeckte. [...] Sonst fehlt mir noch ein Punkt, der auch in den Sachen von Marx und mir regelmäßig nicht genug hervorgehoben ist und in Beziehung auf den uns alle gleich Schuld trifft. Nämlich wir alle haben zunächst das Hauptgewicht auf die Ableitung der politischen, rechtlichen und sonstigen ideologischen Vorstellungen und durch diese Vorstellungen vermittelten Handlungen aus den ökonomischen Grundtatsachen gelegt und legen müssen. Dabei haben wir dann die formelle Seite über den inhaltlichen vernachlässigt: die Art und Weise, wie diese Vorstellungen etc. zustande kommen. Das hat dann den Gegnern willkommenen Anlaß zu Mißverständnissen gegeben, wovon Paul Barth ein schlagendes Exempel. - Die Ideologie ist ein Prozeß, der zwar mit Bewußtsein vom sogenannten Denker vollzogen wird, aber mit einem falschen Bewußtsein. Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewegen, bleiben ihm unbekannt, sonst wäre es eben kein ideologischer Prozeß. Er imaginiert sich also falsche oder scheinbare Triebkräfte. Weil es ein Denkprozeß ist, leitet er seinen Inhalt wie seine Form aus dem reinen Denken ab, entweder seinem eigenen oder dem seiner Vorgänger. Er arbeitet mit bloßem Gedankenmaterial, das er unbesehen als durchs Denken erzeugt hinnimmt und sonst nicht weiter auf einen entfernteren, vom Denken unabhängigen Prozeß untersucht, und zwar ist ihm dies selbstverständlich, da ihm alles Handeln, weil durchs Denken vermittelt, auch in letzter Instanz im Denken begründet erscheint. [...] Es ist die alte Geschichte: im Anfang wird immer die Form über dem Inhalt vernachlässigt. Wie gesagt, ich habe das ebenfalls getan, und der Fehler ist mir erst post festum aufgestoßen. Ich bin also nicht nur weit davon entfernt, Ihnen irgendeinen Vorwurf daraus zu machen, dazu bin ich als älterer Mitschuldiger ja gar nicht berechtigt, im Gegenteil - aber ich möchte Sie doch für die Zukunft auf diesen Punkt aufmerksam machen. - Damit hängt auch die blödsinnige Vorstellung der Ideologen zusammen: weil wir den verschiedenen ideologischen Sphären, die in der Geschichte eine Rolle spielen, eine selbständige historische Entwicklung absprechen, so sprächen wir ihnen auch jede historische Wirksamkeit ab. Es liegt hier ordinäre undialektische Vorstellung von Ursache und Wirkung als starr einander entgegengesetzter Pole zugrunde, das absolute Uebersehen der Wechselwirkung; daß ein historisches Moment, sobald es einmal durch andere, schließlich ökonomische Tatsachen in die Welt gesetzt ist, nun auch reagiert, auf seine Umgebung und selbst seine eigenen Ursachen zurückwirken kann, vergessen die Herren oft fast absichtlich. So Barth z.B. bei Priesterstand und Religion, S. 475 bei Ihnen. [Ende von Korschs Buch]".

(4) Rudolf Hilferding: "Das Finanzkapital", 1923     { 1. Warenform ⇆ Gebrauchswert, ..., 3. } Produktion ⇆ Konsumtion

Ohne Bezugnahme auf das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate findet sich ein Widerspruch Produktion ⇆ Konsumtion bereits bei Wladimir I. Lenin: "Werke", 4. Band "1899 - April 1901", "Antwort an Herrn P. Neshdanow", Berlin: Dietz 1955, S. 151-157, "[g]eschrieben im Mai 1899. Veröffentlicht im Dezember 1899 in der Zeitschrift 'Sbisn'".

(5) Alfred Sohn-Rethel, 1936/1937/1970

Alfred Sohn-Rethel: "Zur kritischen Liquidierung des Apriorismus. Eine materialistische Untersuchung. (Mit Randbemerkungen von Walter Benjamin)", in: "Warenform und Denkform" [Manuskript teilw. 1936/37, EA 1970], Frankfurt: Europäische Verlagsanstalt 1971, S. 27-100, hier S. 69 (Schlusssatz von Benjamin hervorgehoben): "Aber der Unterschied ist so groß nicht, wie er scheint; denn so wenig wie der Ausbeuter ist der Chemiker Urheber der Aufgabe, die er löst, und genau wie jener ist dieser , was die ökonomische Auswirkung seiner Synthese betrifft, blind für die Folgen. Der wirkliche Unterschied ist vielmehr der, daß gerade die Synthesis dem Chemiker bewußt, in der Vergesellschaftung hingegen blind ist. Das aber ist kein Zufall. Weder die Synthsis der Chemie oder einer andren Wissenschaft noch auch der philosophische Allgemeinbegriff der Synthesis wäre geschichtlich möglich geworden, wenn nicht schon die dingliche Vergesellschaftung im inneren Sinn dieses Begriffs 'synthetisch' wäre [Anm. 15: SR - 1970: Gesprächsweise hatte W[alter] B[enjamin] die Anwendung des Begriffs der Synthesis auf die Warengesellschaft, deren Bezeichnung als 'synthetische Gesellschaft im Sinne des synthetischen Kautschuks[']****/10, also auf diesem Wege auch die Verknüpfung der Kantischen mit der chemischen Synthese als eine 'hervorragende Idee' begrüßt]".

S. 70 (von Benjamin hervorgehoben): "Die konstitutive Synthesis, auf die alle theoretische Erkenntnis logisch sowohl wie genetisch zurückgeht, ist die Verdinglichung und dingliche Vergesellschaftung, die durch die Ausbeutung bewirkt ist. In dem Nachweis dieses Satzes faßt sich die kritische Liquidierung des Idealismus zusammen, im Sinne der Liquidierung der Antinomien, in die ihre eigne ratio die Menschen durch den Fetischismus der Verdinglichung verstrickt".

Ebenda (ab "Die Überwindung" von Benjamin hervorgehoben und glossiert mit "Es wäre großartig, wenn er Recht hätte"): "Der rationale Standpunkt des Denkens ist ebensowenig der, welcher die Geltung gegen die Genesis, wie der, der die Genesis gegen die Geltung verabsolutiert, sondern er ist der, der ihre Antinomie überwindet. Die Überwindung geschieht in dem methodologischen Standpunkt, von dem aus das rationale Denken als gesellschaftlich notwendig bedingtes Denken erklärbar ist, so, daß seine gesellschaftliche Bedingtheit sich als der Grund seines Geltens erweist. Denn damit wird die Genesis als das Maß des Geltens und alle Geltung und Wahrheit des Denkens als geschichtlich bedingt erwiesen".

(6) Theodor W. Adorno und Max Horkheimer über Alfred Sohn-Rethel, 1936/7

Letter Max Horkheimer to Theodor W. Adorno****/6, 8 December 1936, in: Jacob Bard-Rosenberg: "Horkheimer's Attack on Sohn-Rethel - A Translation" (prolapsarian.tumblr.com), among others related to Max Horkheimer: "Gesammelte Schriften", Band XV, hrsg. von Gunzelin Schmid Noerr (Frankfurt a.M.: Fischer Verlag, 1995), S. 763-775; und "Adorno-Horkheimer Briefwechsel", Band I, hrsg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz, (Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, 2003), S. 246-267: "It almost seems to me as if you were infected with Sohn-Rethel's mania of dialectical (or rather more undialectical) identification, becoming blind to the enormous difference between your own mode of thought and his. Your aim - that of proving the necessary and immanent relatedness of the idealist concept of the subject with the materialist one - may converge with Sohn-Rethel's postulate of a materialisation of the idealist concept of cognition, but under certain circumstances such formal concordances could even be established between us and our worst enemies."

Abb. "117th Street does not exist. At least, not in Morningside Heights [...] 429, the Frankfurt School's Institute for Social Research [...] the street abandoned [...] in the 1960s and 70s" von Pacman unter GNU Free Documentation License 1.3.

= Nr. 72, Brief Max Horkheimer an Theodor W. Adorno****/6, 429 West 117th Street New York, 8. Dezember 1936, in: "Theodor W. Adorno - Max Horkheimer Briefwechsel", Band I: 1927-1937, hrsg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz, (Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, 2003), S. 249f.: "Fast erscheint es mir so, als seien Sie, durch Sohn-Rethels Manie der dialektischen oder vielmehr undialektischen Identifikation angesteckt, gegen den ungeheuren Unterschied Ihrer eigenen Denkart und seiner blind geworden. Ihre Absicht, die notwendige und immanente Bezogenheit des idealistischen Subjektbegriffs auf Materielles nachzuweisen, mag mit Sohn-Rethels Postulat einer Materialisierung des idealistischen Erkenntnisbegriffs zusammentreffen, aber solche formalen Übereinstimmungen können Sie unter Umständen auch zwischen uns und unseren ärgsten Gegnern feststellen".

Nr. 73, Brief Theodor W. Adorno an Max Horkheimer, Paris, Hotel Littré, 15. Dezember 1936, in: "Briefwechsel", a.a.O., S. 263: "Ich habe ihm [S.R.] den Gedanken gegeben, [Ludwig] Klages so zu dialektisieren, daß er nicht bloß, was auf der Hand liegt, als der romantische Reaktionär erscheint, sondern auch als ein radikaler Kritiker der bürgerlichen Arbeitsideologie und schließlich wenn man will des Begriffs der Arbeit selber (sein 'Geist' ist nichts als der mythologisierte Arbeitsbegriff). Da aber für Sohn-Rethel ja die 'Logik' auf das Problem der Ausbeutung zurückverweist, so bestünde hier ein tiefgreifender Zusammenhang. Das Problem aber wäre genau das in Ihrem Brief an S.-R. gestellte: nämlich die Kritik der hypostasierten ratio von der irrationalistischen Preisgabe der ratio abzugrenzen. Und dazu muß Sohn fähig sein, wenn überhaupt seine Konzeption sich als fruchtbar erweisen soll".

Nr. 75, Brief Max Horkheimer an Theodor W. Adorno, New York, 11. Januar 1937, in: "Briefwechsel", a.a.O., S. 268: "Die Zurückverweisung der Logik auf das Problem der Ausbeutung wäre an sich gewiss ein Ansatz, um auch den Klagesschen Begriff des Geistes aufzuhellen. Aber bei Sohn-Rethel wird ja der Begriff der Ausbeutung ganz formal angewandt. Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass der Idealismus überwunden werden könnte, indem man einfach anstelle der idealistischen Termini nunmehr solche aus einer materialistischen Theorie setzt. Das gibt bloss den Anschein der Aktualität, ohne dass damit etwas geändert wäre".

Nr. 76, Brief Theodor W. Adorno an Max Horkheimer, Oxford. 47 Banbury Road, 21. Januar 1937, in: "Briefwechsel", a.a.O., S. 273: "Im übrigen bin ich über Sohn-Rethel sehr verstimmt [...]. Ich schreibe ihm nochmals und sehr entschieden".

Nr. 78, Brief Theodor W. Adorno an Max Horkheimer, Oxford, 25. Januar 1937, in: "Briefwechsel", a.a.O., S. 278: "Unsere Differenz besteht darin, daß ich trotz allem in der Konzeption, die Kategorien der Logik aus der Ausbeutung abzuleiten, etwas Richtiges und auch echt Marxistisches sehe, was es nur gälte, aus dem überwuchernden akademisch-idealistischen Beiwerk herauszulösen. Ich habe aus den Gesprächen mit S.-R. auch durchaus den Eindruck gewonnen, daß seine Gedanken in der Tat in eine uns viel nähere Richtung zielen, als herauskommt. Meines Erachtens ist die Schwierigkeit in diesem Falle vielmehr eine psychologischer Art****/11 als eine des akademischen Konformismus. S.-R. ist ein durchaus monomanisch angelegter, sehr isolierter Mensch, der wahrscheinlich gerade durch jene Begriffsapparatur zu kompensieren sucht, was ihm an Kontakt mit dem Bestehenden abgeht. [...] Es würde, so scheint mir, viel weniger darauf ankommen, ihn aus akademisch-idealistischen Verstrickungen als aus dem Monologue intérieur zu befreien. Der Spuk verschwände dann von selbst".

Nr. 91, Brief Theodor W. Adorno an Max Horkheimer, Paris, Hotel Littré, 23. März 1937, in: "Briefwechsel", a.a.O., S. 327: "Sohn-Rethel: er strengt sich wirklich ganz außerordentlich an [...]. Ich glaube aber, daß der wirklich großartige Versuch, den Primat des transzendentalen Idealismus zugleich zu begründen und aufzuheben, es rechtfertigt, daß er diesem Teufel mehr als nur den kleinen Finger reicht und einen sehr erheblichen Einsatz macht. Es wird - und das lenkt auf das Problem der 'immanenten Kritik' zurück - an dieser Stelle kaum ohne einen solchen sehr erheblichen Einsatz abgehen".

Nr. 97, Brief Theodor W. Adorno an Max Horkheimer, Oxford, 12. Mai 1937, in: "Briefwechsel", a.a.O., S. 357: "Ich glaube nicht, daß mein Instinkt schlecht ist. [...] Heute möchte ich ihn [den Koinzidenzpunkt] nur mit der in Sohn-Rethels neuen Manuskript erscheinenden Formel umreißen, der Systemcharakter des Idealismus sei Ausdruck des Schuldzusammenhangs (d.h.: Ausbeutungszusammenhanges) der bürgerlichen Gesellschaft. - Nach einem Brief von Sohn, den ich heute erhielt, geht es ihm materiell geradezu verzweifelt schlecht. Er leidet buchstäblich Hunger. Ich habe Ihnen darum depeschiert [...]".

Nr. 103, Brief Theodor W. Adorno an Max Horkheimer, Oxford, 21. Mai 1937, in: "Briefwechsel", a.a.O., S. 368: "Sein Fehler ist der, daß er in Wahrheit nirgends die immanente Analyse innehält, sondern sie durchwegs von Deutungen 'von außen' überschreitet, zugleich aber den verwirrenden Anspruch der immanenten 'Identifikation' aufrecht erhält. Ich suche mit der äußersten Anstrengung das zu vermeiden".

Nr. 104, Brief Max Horkheimer an Theodor W. Adorno, New York, 24. Mai 1937, in: "Briefwechsel", a.a.O., S. 370f.: "Eine der Hauptschwierigkeiten scheint mir darin zu liegen, dass S.-R. seine Thesen stets als Problemstellungen für künftige Untersuchungen vorträgt und dadurch den Anschein erweckt, als werde alles, was er sagt, einmal auch wissenschaftlich gestützt, und es handele sich vorläufig nur um Hypothesen. Der szientivische Kredit, den er auf solche Weise in Anspruch nimmt, muss aber abgeschrieben werden, wenn man sich klarmacht, dass eben die Arbeitsweise Sohn-Rethels in den verschiedenen Résumés gegen die Erwartungen auf solche künftigen Beweise zeugt. [...] Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass ich den Mangel an Beweisen im positivistischen Sinn nicht gegen S.-R. ins Feld führte, bezöge sich die Arbeit nicht selbst fortwährend auf solche Verfahrensweisen. [...] Endgültiges wird jedenfalls erst bei Ihrem Besuch beschlossen werden".

Nr. 113, Brief Theodor W. Adorno an Max Horkheimer, Paris, 7. August 1937, in: "Briefwechsel", a.a.O., S. 393: "Sohn-Rethel, den ich heute zum ersten Mal sehe, wird ab September nach England kommen".

Nr. 126, Brief Max Horkheimers an Theodor W. Adorno, New York, 13. Oktober 1937, in: "Briefwechsel", a.a.O., S. 428f.: "Husserl ist eine Art philosophischer Stresemann. Am Ende kehrt er, wie Sie ganz richtig sehen, wirklich zum anständigen transzendentalen Idealismus, zur illusionären Allgemeinheit, dem unmöglichen, überempirischen Ego zurück. Auch das System ist wieder da. [...] Ihre eigene Hoffnung auf eine richtige Widerlegung des Idealismus wird auf der ersten Hälfte der Seite 34 [des Aufsatzes "Zur Philosophie Husserls", 1937/38, ed. in: Adorno, GS 20,1, Frankfurt: Suhrkamp 1986, S. 46-119] ausgesprochen. Der Nachweis, 'dass zu den sinnausweisenden Elementen der Genesis Fakten rechnen, dass die Genesis selber und damit die Bedingung der Möglichkeit allen Sinns und selbst des formallogischen, in der realen Geschichte liegt', dieser Nachweis bezeichnet das Programm einer anti-idealistischen Philosophie, wie sie auch Sohn-Rethel anstrebt. Inwiefern die Analyse der Husserlschen Philosophie notwendig zur Aufstellung eines solchen führte, ist mir jedoch nicht einsichtig geworden. Ihre Bemerkung, Husserl müsste 'nur das geöffnete Tor der Dingwelt durchschreiten', um die Prinzipien dieses Programms als wahr zu erkennen, wird durch die übrigen Ausführungen des Aufsatzes nicht näher begründet".

(7) Kritischer Rationalismus, 1937ff.

Karl Popper****/6: "Was ist Dialektik?" [Paper in einem Seminar am Canterbury University College, Christchurch, New Zealand 1937, EA "Mind", vol. 49, 1940], Vordenker-Sommer-Edition, aus dem Englischen übersetzt von Johanna und Gottfried Frenzel, Lehrbeauftragte am Dolmetscher-Institut der Universität Heidelberg, Neuss: Joachim Paul 2004, S. 17: "Wie ich bereits feststellte, besteht die Hauptgefahr einer solchen Verwechslung von Dialektik und Logik darin, dass sie die dogmatische Argumentation fördert. Denn wir finden nur zu oft, dass Dialektiker in logischen Schwierigkeiten ihre letzte Zuflucht darin suchen, dass sie ihren Gegnern sagen, ihre Kritik sei abwegig, da sie sich auf die übliche Logik und nicht auf die Dialektik gründe; wenn sie nur die Dialektik anwenden wollten, würden sie feststellen, dass die Widersprüche, die sie in irgendeinem Argument der Dialektiker gefunden haben, völlig zu Recht bestehen (nämlich aus der Sicht des dialektischen Standpunktes)."

Karl Popper****/6: "What is Dialectic?" [Manuskript 1937, EA 1940, a.a.O.], Vordenker-Sommer-Edition, Neuss: Joachim Paul 2004, S. 17, mit Bezug auf Karl R. Popper: "Conjectures and Refutations", London: Routledge & Kegan Paul 1963, S. 312-335: "The main danger of such a confusion of dialectic and logic is, as I said, that it helps people to argue dogmatically. For we find only too often that dialecticians, when in logical difficulties, as a last resort tell their opponents that their criticism is mistaken because it is based an logic of the ordinary type instead of an dialectic; if they would only use dialectic, they would see that the contradictions which they have found in some arguments of the dialecticians are quite legitimate (namely from the dialectic point of view)".

(8) Leo Kofler, 1951ff.

Brief Ernest Germain (d.i., Ernest Mandel) an Leo Kofler, 20.3.1951, über das Manuskript von Leo Kofler: "Geschichte und Dialektik", Hamburg: Kogge 1955 (zitiert nach leo-kofler.de, Leo-Kofler-Gesellschaft e.V.): "Ich muss gleich vorwegnehmen, dass Ihre Darstellungsweise der Dialektik des historischen Materialismus [im Buchmanuskript Geschichte und Dialektik] mir die einzig richtige scheint, und dass Ihr Buch schon darum einen wichtigen Beitrag zur neueren marxistischen Literatur bildet. Wo die älteren Darsteller des historischen Materialismus (Plechanow, Bucharin, Thalheimer usw., um von Kautsky ganz zu schweigen) ihn immer wieder in beschreibender, analytischer oder sogar in Kategorien zerlegter Form versuchten darzustellen, sind Sie an diese Darstellung von der entgegen gesetzten Seite herangegangen, und haben ihn in seiner Gesamtheit, als Gesamtmethode darzustellen versucht. Dadurch ist das Studium Ihres Buches vielleicht etwas schwieriger für einen Durchschnittsleser als die Lektüre der oben genannten Vulgarisierungsarbeiten, aber es ermöglicht eine wirkliche Assimilierung der dialektischen Methode und erfähigt dadurch die Erziehung nicht von Epigonen, Apologeten oder 'roten Professoren', sondern von selbständigen (revolutionären) Denkern, - und das ist das grösste Lob, das man überhaupt gegenwärtig einer Arbeit über den historischen Materialismus widmen kann! Ich bin deshalb auch überzeugt, dass die Veröffentlichung Ihrer Arbeit ein wirklicher Beitrag zur Erneuerung, und zum Aufschwung, der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung sein kann."

Leo Kofler: "Die drei Hauptstufen der dialektischen Gesellschaftsphilosophie", in: "Kürbiskern", Heft 2/1966, S.103ff. (zit. nach leo-kofler.de): "Adornos 'negative Dialektik', wie er sie aus Aversion gegen 'voreilige' Intention auf klassenlose Gesellschaft und ähnliches selbst bezeichnet und festlegt, bildet die methodische Voraussetzung für die Präposition des 'Immergleichen'. Trotz aller Ventile, die er für eine gelockerte Interpretation seiner Auffassung offenhält, bleibt ihm der Fluch des unaufhaltsamen Fortschritts, die unaufhaltsame Regression [Anm. 3: Theodor W. Adorno / Max Horkheimer: 'Dialektik der Aufklärung', Frankfurt/M.: Suhrkamp 1969, S. 42]. Dialektik soll nach Adorno nicht anders als konkret ausgetragen werden. Konkrete Austragung der Dialektik im Bereich des 'Immergleichen' ist aber keine. Nirgends in Adornos Schrifttum gibt es einen deutlichen Hinweis, dass es innerhalb der Klassengesellschaft auch eine Geschichte der Freiheit gegeben hat, nirgends untersucht er die Dialektik von Geschichte und Repression und jener des teilweise durchaus erfolgreichen Kampfes um die Freiheit. Adornos Abweisung eines jeglichen 'Systems', das die Wirklichkeit in ein Raster vorgegebener Ontologisierung ('Idealismus') einzufangen sucht, hilft wenig".

(9) "Seminar über den Begriff der Dialektik bei Prof. Horkheimer und Prof. Adorno", 1953

"29. Werner Mangold, 19. November 1953. Seminar über den Begriff der Dialektik bei Prof. Horkheimer und Prof. Adorno****/6. Frankfurt am Main, 26.11.[19]53. Protokoll der Seminarsitzung vom 19. November 1953", in: "Adorno. Frankfurter Seminare", hrsg. von Dirk Braunstein, Band 1: "Wintersemester 1949/50-Sommersemester 1957", "Wintersemester 1953/54. Dialektik. Philosophisches Hauptseminar mit Max Horkheimer. [...] Das Seminar findet donnerstags von 18 bis 20 Uhr statt", Berlin / Boston: De Gruyter 2021, S. 157-160.

Abb. "Seminarraum im ZfsL Engelskirchen" von LeiterGyGe, 2016 (Symbolbild, modifiziert), unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0.

S. 157: "In der Seminarsitzung wurde noch einmal die grundsätzliche Frage aufgeworfen, wie sich die Notwendigkeit der Dialektik im Denken selbst aufzeigen lasse. Es sollte dabei nicht, wie es manchmal in den vorherigen Seminarstunden geschehen war, Hegel schon vorweggenommen werden, sondern es gehe darum, die logischen Motive aufzudecken, die uns aufgrund des Verhältnisses von Begriff und Sache zum Schema der Triplizität nötigen".

S. 158: "Von einem Seminarteilnehmer wurde darauf geantwortet, daß ein Versuch zur Einsicht in einen begrifflichen Sachverhalt nicht weiterkommen könne, wenn dabei nicht auch zu dem Gegenteil dessen, was begrifflich gefaßt ist, gegriffen werde. Denken werde vor die Aufgabe gestellt, die konkrete Bestimmtheit der Sache auszudrücken. Das könne es nicht tun, wenn es seine Begriffe nicht der Bewegung der Sache selbst anpasse; dieses Anpassen zeige sich dann als Bewegung des Denkens.

Da auch diese Erklärung den der Dialektik zugrundeliegenden logischen Motiven nicht gerecht wurde, da sie den Begriff der Dialektik schon voraussetzte, wurde untersucht, warum und in welchem Sinne jedes Urteil notwendigerweise zugleich wahr und unwahr ist. Wenn wir wissen, daß ein Urteil unwahr ist, dann wissen wir das nur mit Hilfe der Antithese. Wenn wir aber einen Satz nur ernst sagen, müssen wir beanspruchen, daß er schlechthin wahr ist. Indem ich aber in einem Satz nicht die ganze Wahrheit sagen kann, sondern in ihm immer isoliert bleibe, besteht die Notwendigkeit zum Fortschritt im Widerspruch. Jede Thesis ist so auf die Antithesis angewiesen. Dabei ist es gleichgültig, wo wir im Schema der Triplizität anfangen; was gerade Thesis, was Antithesis ist, hängt davon ab, wo wir die Wahrheit zuerst festhalten. Undialektisches Denken erweist sich aber als etwas unbeschreiblich Kindliches, sobald wir diese Notwendigkeit zur Dialektik im Denken selber einmal erfahren haben.

Auf die Frage, worin der Anspruch auf unbedingte Wahrheit eines Satzes bestehe, wurde gezeigt, daß in der Kopula, dem 'ist' des Urteils die Behauptung enthalten sein muß, daß der Gegenstand mit dem Gedachten übereinstimme. In Wirklichkeit besteht aber diese volle Übereinstimmung nicht [Anm. 16: Entsprechend schreibt Adorno in seinem Aufsatz Skoteinos oder Wie zu lesen sei (1963): In der Dialektik der Identität wird also nicht nur als deren höhere Form die Identität des Nichtidentischen, das A = B, das synthetische Urteil erreicht, sondern dessen eigener Gehalt wird als notwendiges Moment bereits des analytischen Urteils A = A erkannt. Umgekehrt ist auch die einfache formale Identität des A = A in der Gleichsetzung des Nichtidentischen aufbewahrt. (GS, Bd. 5, S. 365)]. Dadurch muß es zum Konflikt kommen zwischen der Unabdingbarkeit des Anspruchs auf Wahrheit und der Unmöglichkeit, im isolierten Urteil die ganze Wahrheit auszudrücken, und damit kommt es zur Dialektik.

Daraus geht auch hervor, daß die Negation, die dem Urteil folgt, keine formale Negation ist. Dialektik heißt keinswegs, nach jedem ausgesprochenen Satz sofort einschränkend zu sagen: Weil wir Dialektiker sind, wissen wir, daß in dem Satz sowieso nicht die ganze Wahrheit steckt. Gegen diese Auffassung hat auch Hegel sich immer gewehrt. Der Widerspruch muß sich ganz konkret zeigen. Es kann sein, daß wir bei einem Urteil, z.B. über das Sein, zunächst stehen bleiben müssen, aber es wird sich dann später zeigen, worin das Urteil unvollständig ist".

S. 159: "Wenn z.B. der Satz ausgesprochen wird, der Liberalismus sei die adäquate Form der Gesellschaft, dann muß diese Theorie mit vollem Ernst durchdacht oder in der konkreten Geschichte erlebt werden, damit sich zeigt, warum das Urteil nicht die ganze Wahrheit ist. Es ist also nicht möglich, eine abstrakte Dialektik in dem Sinne zu treiben, daß jedes Urteil schon von vornherein nicht wahr sei, weil ja die Antithesis dazugehöre, sondern mit der These muß ernst gemacht werden, bis sich aus ihr die Antithese ergibt. [...]

Auch in der relativistischen Einschränkung bleibt, wie gesagt, der Anspruch auf Wahrheit bestehen; die Sache selbst wird gar nicht berührt. Wenn auch z.B. die Produzenten der Kulturindustrie sagen: Wir wissen ganz genau, daß unsere Produktion nichts taugt, ändert sich dadurch gar nichts. Indem es auf der Leinwand erscheint, erhebt das übelste Produkt einen Anspruch wie der Hamlet. Und selbst durch die relativistische Einschränkung 'Meiner Meinung nach', mit der sich heute Meinungen meistens kundtun, läßt sich nicht verbergen, daß es auch dem, der einschränkt, in gewissem Sinne um die Sache selbst geht, und daß sogar noch in diesem eingeschränkten Satz der Anspruch auf Wahrheit steckt. Aber im positivistischen Denken fungieren Worte wie Zeichen und Schilder. Man meint, daß damit das Denken einfacher wird, aber man leistet in Wirklichkeit einen ungeheuren Verzicht. Was man nicht mehr denkt, kennt man auch nicht mehr; Orwells '1984' [Anm. 17: Vgl. George Orwell, 1984 (1949), übers. von Kurt Wagenseil, Rastatt 1950] schildert diese Konsequenz sehr eindringlich".

S. 159f: "Wie sich in der Realität aus der These die Antithese und schließlich aus beiden die Synthese ergibt, wurde am Beispiel der Entwicklung des Kindes zum Erwachsenen gezeigt: These: In der Kindheit glaubt der Mensch an das Paradies, an die Allgüte und an die Ideale des Vaters, an die uneingeschränkte Liebe der Mutter. Es folgt, besonders in der Pubertät, die Periode der Negation (die Antithese), in der das Kind sieht, was wahr ist und was nicht, und in der es erfährt, daß der Vater nicht so ist, wie er sich vorgibt zu sein. Der Vater wird an seinen eigenen Begriffen gemessen, ja - das Kind könnte diese Negation gar nicht leisten, ohne die Begriffe dazu von seinem Vater empfangen zu haben. In der Synthese muß nun das Entscheidende folgen: Die durch die Erfahrungen konkretisierten Vorstellungen von dem Vater und der Welt, wie sie sein soll, dürfen nicht nur durchgestrichen werden, sondern es kommt gerade darauf an, daß das, woran man in der Jugend geglaubt hat, aufgehoben wird in einen neuen Zustand des Bewußtseins, in dem der Mensch zum eigentlichen Erwachsenen wird. Oder, wie Professor Adorno in seiner Interpretation des Proust formuliert hatte: daß die Kindheit positiv in die Sphäre des Erwachsenen gerettet wird, und damit zugleich der Glücksanspruch aus der Kindheit [Anm. 18: In Adornos Schrift Valéry Proust Museum (1953) heißt es über Paul Valéry: Museen adoriert er wie Gottes wahre Schöpfung, die ja, Prousts Metaphysik zufolge, nicht fertig ist, sondern kraft jeden konkreten Moments der Erfahrung, kraft jeder ursprünglichen künstlerischen Anschauung aufs neue sich ereignet. In seinem staunenden Blick hat er sich ein Stück Kindheit gerettet; ihm gegenüber spricht Valéry von Kunst wie ein Erwachsener. (GS, Bd. 10-1, S. 189)]. Darin erweist sich die Synthese als die durch die Antithese konkretisierte These.

Zum Schluß der Seminarsitzung wurde dann noch auf das Besondere der Dialektik hingewiesen, daß nämlich diese Synthese nun wiederum nicht die ganze Wahrheit ist, sondern aus der Synthesis wieder eine Thesis wird, die der Antithesis bedarf. Das Verhältnis der Unmittelbarkeit stellt sich so immer wieder her. Die Frage, ob das heiße, daß das dialektische Fortschreiten des Gedankens und der Sache nie zu einem Abschluß kommen würde, wurde auf eine spätere Sitzung verschoben".

(10) Widerspruch { 1. Warenform ⇆ Gebrauchswert, 2. } Akkumulation ⇆ Reproduktion, ..., 1962-1976

Samuel Bowels und Herbert Gintis: ""Kapitalakkumulation, Klassenkonflikt und Veränderungen im Erziehungswesen" [EA "Schooling in Capitalist America", New York Basic Books 1976; "Pädagogik und die Widersprüche der Ökonomie. Das Beispiel USA", Frankfurt: Suhrkamp 1978], in: "Handbuch Bildungs- und Erziehungssoziologie", hrsg. von Ulrich Bauer, Uwe H. Bittlingmayer und Albert Scherr, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2012, S. 213-228, insb. S. 221:

"Die antagonistischen Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit und das gesteigerte Potential für Aktionen der Arbeiterklasse gegen das Kapital - ermöglicht durch die Ballung von Arbeitern in großen Unternehmen und einzelnen Stadtgebieten - haben den Fortbestand des System[s] bedroht. Wir bezeichnen diese Spannung zwischen Wachstum und Stabilität als den 'Widerspruch zwischen Kapitalakkumulation und der Reproduktion der kapitalistischen Produktionsverhältnisse' [Anm. 23]. Dieser Grundwiderspruch ist eine der Haupttriebkräfte, die in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten die Geschichte der USA geprägt haben".

Anm. 23: "Raymond Callahan, Education and the Cult of Efficiency, Chicago: University of Chicago Press, 1962; Joel Spring: Education and the Rise of the Corporate State, Boston: Beacon Press 1972; Clarence J. Karier, Ideology and Evaluation: In Quest of Meritocracy, Wisconsin Conference on Education and Evaluation at Madison, April 1973; [Michael B.] Katz (1968), a.a.O. ['The Irony of Early School Reform', Cambridge, Mass.: Harvard University Press]; und [Alexander J.] Field (1973), a.a.O. ['Skill Requirements in Early Industralization', University of California at Berkeley]".

(11) Alfred Schmidt: "Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx", 1962

[a] Lars Hennings: "Marx, Engels und die Teilung der Arbeit. Materialien zur Gesellschaftstheorie und Geschichte" [EA 2007], 10.erweiterte Ausgabe, Berlin: Hennings 2012 [ssoar.info], S. 20:

"Ein besonderes Problem, das in diesem Buch behandelt werden muß, besteht darin, daß Engels vorgeworfen wird, nach Marx' Tod dessen Arbeit als 'Marxismus' und 'Wissenschaftlichen Sozialismus' dogmatisiert und simplifiziert zu haben. Vor allem sein Manuskript 'Dialektik der Natur' [Manuskript in den Jahren vor und nach 1876-78, EA Moskau 1925], das über eine Materialsammlung allerdings gar nicht hinausgekommen ist, wird moniert, aber auch der sogenannte 'Anti-Dühring' [EA 'Vorwärts' 3. Januar 1877 bis 7. Juli 1878; gegen Eugen Dühring gerichtet]".

S. 233: "[Alfred Schmidt] hat ganz wesentlich die Differenz zwischen Marx und Engels neu herausgestellt und dies an der Dialektik festgemacht. Das geschieht formal einerseits dadurch, daß auch an den von beiden verantworteten Schriften nur Marx als Autor besprochen und andererseits Engels' 'Dialektik der Natur' als fertiges Werk dem entgegengestellt wird. 'Für Marx' - heißt es dann - 'gibt es keine Trennung schlechthin von Natur und Gesellschaft, damit auch keinen grundsätzlichen methodischen Unterschied zwischen den Naturwissenschaften und der Geisteswissenschaft. So schreibt er' - also nur Marx - 'in der ›Deutschen Ideologie‹: ›Wir kennen nur eine einzige Wissenschaft, die Wissenschaft der Geschichte [...]‹.' ('Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx', Frankurt [EA Dissertation, Reihe "Frankfurter Beiträge zur Soziologie" Band 11, Frankfurt/ M.: Europ. Verl.-Anst. 1962] 1978: 39) [...]. Für Schmidt folgt daraus, 'Natur und Mensch schließen sich bei Engels nicht primär vermittels historischer Praxis zusammen; der Mensch erscheint nur als Evolutionsprodukt und passiver Spiegel des Naturprozesses, nicht aber als Produktivkraft' (45)".

[b] Maximilian Hauer: "Ökomarxismus. Der unheilbare Riss im Stoffwechsel", neues deutschland, 17.11.2023:

"Die wissenschaftlichen Arbeiten des japanischen Marxisten Kohei Saito knüpfen an den Grundgedanken der Metabolic-Rift-Schule an. Zugleich formuliert Saito in seiner Dissertation 'Natur gegen Kapital' (2016) eine methodische Kritik an Fosters verhältnismäßig eklektischen Vorgehen [John Bellamy Foster: 'Marx's Ecology. Materialism and Nature', New York: Monthly Review Press 2000]. [...]

Saitos Blick auf die Exzerpthefte [von Karl Marx] zeigt auch den engen Zusammenhang von Lesen und Schreiben, Rezeption und Produktion. Statt die Gedanken eines Autors als Ausfluss seines Genius zu mystifizieren, erscheint geistige Produktion selbst als eine Art Stoffwechselprozess, bei der der Autor sich in seinen Lektüren Rohstoffe aneignet, aufspaltet und zu seinen eigenen Zwecken umbildet. [...]

Erhellend ist zudem, dass richtungsweisende Neuerungen auf dem Feld der gesellschaftlichen Naturverhältnisse häufig auf Beiträge von Naturwissenschaftlern wie den Chemiker Justus von Liebig oder den Agrarwissenschaftler Carl Nikolaus Fraas zurückgingen. Damit erschließt Saito einen wichtigen Bezugsrahmen des Marxschen Naturdenkens, wie er etwa in Alfred Schmidts Standardwerk 'Der Begriff der Natur in der Lehre von Karl Marx' ausgeblendet blieb, der Marx vor allem in die Linie der Klassischen Deutschen Philosophie und die materialistische Philosophietradition einordnete. Saito zeigt überzeugend, dass es sich bei Marxens naturwissenschaftlichen Studien um mehr als zusammenhangslose Faktenhuberei handelt, nämlich um einen integralen Bestandteil seines Forschungsprogramms. [...]

Aufhorchen lässt in diesem Zusammenhang [Kohei Saito: 'Systemsturz. Der Sieg der Natur über den Kapitalismus', übersetzt von Gregor Wakounig, München: dtv 2023] die wiederholte Rede von einem revolutionären 'Sprung' in die neue postkapitalistische Gesellschaft, die die enormen Schwierigkeiten eines solchen Übergangs verdeckt, statt sie ernsthaft zu erörtern. [...] Warum Saito meinte, dieses Buch schreiben zu müssen, bleibt rätselhaft".

(12) Alex Williams und Nick Srnicek: "#Accelerate Manifesto for an Accelerationist Politics", in: CriticallegalThinking.com 2013 / Star Trek 1974     { ..., 3. Produktion ⇆ Konsumption, ... }

Die dem Akzelerationismus zugrundeliegende Idee einer dann aus Entwicklung der Produktivkräfte resultierenden "Zentralisierung von Produktionsmitteln" scheint zurückführbar auf das Science-Fiction-Konzept des "Food Synthesiser", der zum ersten Mal in der Zeichentrickserie "Star Trek. The Animated Series", in der Folge "The Practical Joker" vom 21. September 1974, auftaucht:

"ROMULAN [...]: Turn off those food synthesisers! We're knee deep in desserts and they're still pouring out!".

Bereits bei Star Trek steht dem Meta-Handwerkzeug dabei eine Idee von künstlicher Intelligenz gegenüber, der für die Folge namensgebende "Joker":

"Captain's log, supplemental. Unusual incidents continue to plague our crew. Even our perceptive Mr. Spock has fallen victim to these simple-minded pranks. As these little surprises have grown more and more frequent our crewmembers have found them less and less amusing. The situation has reached the point where friends are accusing friends; the entire crew is on edge, myself included. [...]

KIRK: You mean you know who's behind these stunts?
SPOCK: Not who, what. I believe our practical joker is the Enterprise itself [...]

Eine erste hypothetische Skizzierung eines ähnlichen Geräts stammt von Eric Drexler ("Engines of Creation. The Coming Era of Nanotechnology", New York: Doubleday 1986). Sogenannte "Assembler" werden als Grundlage einer molekularen Nanotechnologie vorgestellt - ein ideales Produktionsmittel, das beliebig programmierbar alles replizieren kann einschließlich sich selbst. Eine theoretische Bezugnahme auf das "Maschinenfragment" von Karl Marx im dritten Band des Kapitals und das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate erfolgt scheinbar aber erst nachgeordnet.

Alex Williams und Nick Srnicek, a.a.O.: "It is Marx, along with [Nick] Land, who remains the paradigmatic accelerationist thinker. Contrary to all-too family critique, and even the behaviour of some contemporary Marxians, we ust remember, that Marx himself used the most advanced theoretical tools and empirical data available in an attempt to fully understand and transform his world. [...]

Accel­er­a­tion­ists want to unleash lat­ent pro­duct­ive forces. In this project, the material platform of neoliberalism does not need to be destroyed. It needs to be repurposed towards common ends. The existing infrastructure is not a capitalist stage to be smashed, nut a springboard to launch towards post-capitalism".

Abb. "Panasonic Microwave Oven NN-SD69LS", von Mrbeastmodeallday unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 (modified). Die erste Mikrowelle baute 1946 der US-amerikanische Ingenieur Percy Spencer, das erste Modell für den Heimgebrauch kam 1955 auf den Markt, erste weitere Verbreitung bekamen Mikrowellengeräte 1965.

(13) Hans Friedrich Fulda, 1978

Hans Friedrich Fulda: "Dialektik als Darstellungsmethode im 'Kapital' von Marx" [archiv.ub.uni-heidelberg.de, PDF], in: Ajatus, Helsinki 1978, S. 180-216, insb. S. 188: "'Die Dialektik umstülpen' bezeichnet vielmehr eine Verrichtung, vergleichbar derjeni­gen, die man zum Beispiel an einem Handschuh oder am Ende eines Ärmels vornimmt. Auch bei einer solchen Verrichtung kommt, was vorher ­unter Umständen verkehrterweise oben war, nun nach unten. Wesentlich aber ist nun etwas anderes. Zugleich nämlich kommt, was vorher außen war, obwohl es unter Umständen nach in­nen gehört, nun tatsächlich nach innen; und das, was in diesem Fall fälschlicherweise innen war, kommt nach außen. War etwa im Handschuh ein Kern versteckt, so wird er bei diesem Umstülpverfahren ganz von selbst zum Vorschein kommen; seine Umhüllung wird 'abgestreift'. Aber das Bild vom Kern läßt sich nun ebensogut auch andersherum nehmen: Sollte am Handschuh, sofern er sich in verkehr­tem Zustand befindet ­zunächst also außen daran etwas Kerniges sein, so muß man den Handschuh umstülpen, um dies als seinen Kern in der Hülle entdecken zu können. Erst die erforderliche Umstülpung macht den Kern zu etwas Eingehülltem und macht ihn damit als Kern einer Schale begreiflich. Genauso steht es mit der Beendigung des verkehrten Zustandes, in dem sich der dialektische Handschuh und sein 'rationeller' Kern bei Hegel befinden".

(14) Frieder O. Wolf, 1983: "materieller Widerspruch"     { 1. "Warenform" > "Wert" ⇆ Gebrauchswert, ... }

Frieder O. Wolf: "Umwege. Politische Theorie in der Krise des Marxismus", Hannover: SOAK-Verlag 1983, S. 119: "Der elementare Widerspruch von Gebrauchswert und Wert ist als materieller Widerspruch immer nur in einer endlichen - wenn auch praktisch zahllosen - Warenmenge existent; ebenso ist der entwickelte Widerspruch von Kapitalistenklasse und Arbeiterklasse zu jedem Zeitpunkt auch quantitativ bestimmt".

(15) Robert Kurz: "Was ist Wertkritik?", 1998

Interview der Zeitschrift "Marburg-Virus" mit Ernst Lohoff und Robert Kurz: "Was ist Wertkritik?", 31.12.1998, krisis.org - Kritik der Warengesellschaft:

"Wenn der Begriff der Wertkritik in den Ohren der gewöhnlichen Feld-, Wald- und Wiesen-Linken trotzdem völlig fremdartig klingt, so deshalb, weil sie die grundsätzliche Fetischismuskritik gleich wieder vergessen und ihre vermeintliche Kritik der politischen Ökonomie den Boden der Wertform nie verlassen hat".

"Das [eine zielführende linke Position] ist jedoch mit den Mitteln der bisherigen wertimmanenten Kapitalismuskritik nicht möglich, sondern erfordert einen schmerzhaften Bruch mit einer linken 'Identität', von der die Wertform und alle wesentlichen bürgerlichen Gesellschafts-Kategorien blind als apriorische Voraussetzungen genommen wurden, sodass deren jetzt anstehende radikale Kritik und 'Aufhebung' zwangsläufig Unverständnis, Abwehr und Frust hervorrufen. Denn damit ist das gesamte, mehr als hundertjährige Theorie-'Kapital' des Arbeiterbewegungs-Marxismus auf einen Schlag 'entwertet'.

"Wenn die Wertform die gesellschaftliche Beziehung der Menschen zu einer von ihnen getrennten, objektiven Gewalt macht, so ist diese Konstellation bereits in der Subjektvorstellung selber festgeschrieben. Ein Subjekt kann es logischerweise nur im Gegensatz zu einem Nichtsubjekt, also einem Objekt geben. Wo der Mensch sich als Subjekt auf Natur und Gesellschaft bezieht, behandelt er diese und damit seinen eigenen Kontext als Objekt. Subjektivität schliesst insofern immer schon die Selbst-Objektivierung dieses Subjekts ein, das sich bewusstlos den Objektivierungen des warenproduzierenden Systems unterwirft, wie sie das 'automatische Subjekt' jenseits der abstrakt- individüllen Willenshandlungen bilden. In bezug auf die kapitalistische Weltmaschine als solche ist also das Subjekt per definitionem gegenstandslos. Mit anderen Worten: Subjektivität kann immer nur ein Binnensubjekt innerhalb der Fetischform bezeichnen, das mit den von der Wertlogik vorgestanzten Wahlmöglichkeiten hantiert".

(16) Mark Fisher: "Capitalist Realism", 2009     { 1. "Warenform" > "Wert" ⇆ / = "Gebrauchswert" > "Wert", ... }

Sebastian Schuller: "Realismus des Kapitals. Marxistische Literaturtheorie im Zeitalter des globalen Kapitalismus", Paderborn: Fink 2021: S. 3: "Diese Auflösung von Gegenwart und Zukunft ineinander [in zuvor angesprochenen literarischen Beispielen der Gegenwart] ist nicht akzidentiell und sollte auch nicht als Mangel an Visionskraft gewertet werden. Vielmehr handelt es sich hier um einen symptomatischen Ausdruck eines allgemeingesellschaftlichen Prädikaments der Gegenwart, das der britische Kulturkritiker Mark Fisher in seinem 2009 publiziertem und seither viel zitiertem Essay Capitalist Realism als 'kapitalistischen Realismus' bezeichnet [Mark Fisher: 'Capitalist Realism. Is There No Alternative?', Winchester: John Hunt Publishing - Zero Books 2009]".

S. 92f.: "Ursprünglich wurde der Term kapitalistischer Realismus im Umfeld der Künstler Gerhard Richter und Sigmar Polke als ironische Parallelbildung zum sozialistischen Realismus geprägt. In Ausstellungen wie der Leben mit Pop - Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus unternahmen sie es 1963 die heimlich-unheimlichen Parallelen zwischen fordistischem Kapitalismus und real-existierendem Sozialismus in der Kunst aufzuzeigen und zu kritisieren".

S. 96: "Wenn nämlich im Kapital alles Kulturelle und in der Kultur alles dem Kapital angeeignet wird, kann die Unterscheidung von Basis und Überbau nicht mehr einfach aufrechterhalten werden, die im 20. Jahrhundert marxistische Literaturtheorien informierte".

(17) Luise Meier: "MRX Maschine", 2018     { 1. Warenform ⇆ Gebrauchswert, 2. Akkumulation ⇆ Reproduktion, 3. Produktion ⇆ Konsumtion, 4. Kapital ⇆ Arbeit }

Luise Meier: "MRX Maschine", Reihe "Fröhliche Wissenschaft" Bd. 127, Berlin: Matthes & Seitz 2018, S. 21: "In einer Erzählung über Neapel spricht Alfred Sohn-Rethel, an Walter Benjamin erinnernd, vom 'Glücksarsenal des Kaputten' [Anm. 7: Alfred Sohn-Rethel: 'Das Ideal des Kaputten. Über neopolitanische Technik', Bremen 2008, S. 14]. Das ist eine andere Form der Beschreibung, eine Verwandtschaft von Kaputtem, die nach dem Rest sucht, die sich an der störungsbedingten Vergeudung von Arbeitskraft und Arbeitszeit nicht stört. Der Rest, der nicht im Marktgeschehen aufgeht, der sich nicht amortisiert. Es gibt eine Solidarität zwischen Arbeiterin und Maschine, wo wegen der kaputten Maschine das Werk geschlossen bleibt. Ein Streik, der vom Material ausgeht. Die nie endende Verstrickung in die Reparatur, die den Knoten der Gemeinschaft bildet, kann von Sabotage nicht unterschieden werden. Die kaputte MRX-Maschine, die ohne 'A' operiert, versucht sich der Absorption durch die Kapitalmaschine zu entziehen. Sie setzt als soziale Maschine, statt auf Vergleichbarkeit und Kommensurabilität, auf das Teilen der Wartezeit und des Reparaturprozesses. Sie funktioniert nur, weil und solange sie kaputt ist. Sie ist kaputt, solange der Begriff des Funktionierens an das Kapitalgesetz gekettet ist".

Abb. "How To Check User Login History In Linux. Checking last logins with last log", Aravind Ch, youtube.com, nfQEO1-Pb8I, 2021 (modifiziert).

S. 45ff., Kapitel "Auto-Logged-In": "Der alchemistische Homunkulus, das Wundermaterial, die wohlmöglich stärkste psychoaktive Substanz der Marx'schen Kapitalkritik ist die Warenformanalyse. Dafür kommt sie im Kapital viel zu kurz - vor allem in den Augen von uns bürgerlich verzogenen Kopfarbeiterinnen, die wie MRX-Maschine letztlich nichts als konzeptionell induzierte Entgrenzung im Sinn haben. MRX-Maschine kann als ihre künstliche Verlängerung auf die Erfahrung einer Vielzahl anderer Warenformakrobaten zurückgreifen. Die Einladung zu reflexivem Vertigo ist unter verschiedenen Namen ergangen. Der erste Eindruck ist geschmacklich oft wenig überzeugend, aber es lohnt sich, die anfängliche Bitterkeit abzuwarten. Alfred Sohn-Rethel verfolgt die Ausbeutungsbeziehung und Neutralisierungsfunktion des Warentauschs in Geistige und körperliche Arbeit bis ins antike Griechenland zurück. [...] Man könnte die Warenform vielleicht als eine soziohistorisch und lokal spezifische Schwerkraft bezeichnen, durch die die Praxis unseres Menschseins, in all ihren Aspekten, entscheidend geformt ist. Zu den besonders markanten Erscheinungsformen dieser historisch gewachsenen Ablagerungs- und Verkrustungstendenz gehören Eigentum, Recht, Familie, Geschlecht, Natur, Geschichte, Subjekt, Technik, Kunst, Sex, Staat, Religion, Wissenschaft, usw. Der schönste Begriff zum Thema Verdinglichung ist Adornos 'sedimentierte Geschichte' - er fesselt das Denken wie eine Lavalampe. [...] Der entscheidende Punkt, der in Marx' Analyse der Warenform hervortritt, ist die Reduktion der konkreten menschlichen Arbeit auf abstrakt menschliche Arbeit, die sich dann im Geld verdinglicht. Diese Abstraktion bringt eine absolute Trennung der Produktion eines Gegenstands von seinem Gebrauch mit sich. Der Warenwert oder Tauschwert entsteht allein im und durch den Tausch. [...] Die allseitige gesellschaftliche Abhängigkeit wird gewissermaßen in einem abstrakten Zahlenwertverhältnis objektiviert. Dieses Zahlenverhältnis wird dann, durch die Geldform praktikabel gemacht und zum Naturphänomen erklärt. Die allseitige gesellschaftliche Abhängigkeit, die sich darin ausdrückt, wird verdrängt. Nur so kann man sich als autonomes Subjekt verhalten und von anderen als solches behandelt werden. Der Wert ist eine Schnittstelle, ein Interface oder eine Benutzeroberfläche, die uns zur solipsistischen Black Box macht. Die Neutralisierung durch die Benutzeroberflächen, zu der auch Philosophie, Recht und Naturwissenschaft gehören, ist in der Warenform schon angelegt. Das Strukturprinzip entspricht der gated community: Durch die Vermittlung über den Markt und den Kauf sind wir immer schon abgesichert gegen die Realitäten der Produktionssphäre, gegen die Andere. In dem Moment, in dem Eigentumsbereiche gegeneinander abgetrennt und austauschbar gemacht werden, ist das Medium des Tauschs als neutralisierte, abstrakte Einheit gesetzt. Herstellung und Verbrauch beziehen sich nicht mehr aufeinander, sondern auf ein Drittes. Die Welten von Produktion und Konsumption, die nicht mehr konkret aufeinander bezogen sind, erscheinen sich gegenseitig als 'Naturkausalität der ›Ökonomie‹' [Alfred Sohn-Rethel: 'Geistige und körperliche Arbeit. Zur Epistemologie der abendländischen Geschichte', Weinheim 1989, S. 5] oder zweite Natur".

S. 49: "Neutralisierung ist eine Variation von dem, was Sohn-Rethel Abstraktion, Realabstraktion oder Tauschabstraktion nennt, was aber auch in den Begriffen Verdinglichung und Entfremdung beschrieben wird".

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques ]

1. Kritische Theorie, 2. Robinsonaden, 3. Totalität, 4. Geschichtliche Bewegung, 5. "Meine dialektische Methode", 6. Positivismusstreit, 7. "Lenin's 'materialistic' criticism", 8. Trummsäge und Abbildtheorie, 9. Vereinigung internationaler Verlags-Anstalten, 10. Kautschuk, 11. "Schwierigkeit [...] psychologischer Art", 12. Freuds Schriften, 13. Verhältnis von Soziologie und Psychologie

****/6 Zu Karl Popper und Theodor W. Adorno vgl. auch Artikel "Die Kultur. Eine unabhängige Zeitung mit internationalen Beiträgen".

Abb. "Two lumberjacks with a two-man crosscut saw, or 'misery whip'" ('Zwei Holzfäller mit einer Kreuzschnitt-Trummsäge, oder ›Elendsschaukel‹'), 19. Jh., Public Domain.

****/7 Vgl. z.B. Siegfried Müller-Markus: "Einstein und die Sowjetphilosophie. Krisis einer Lehre", "1. Band. Die Grundlagen. Die spezielle Relativitätstheorie", Dordrecht-Holland: D. Reidel Publishing Company 1960, S. XIV ("Vorwort", "Fatima, 13. Mai 1959"): "Dieses Buch soll ein Bericht über den Prozess Einstein sein. Es enthält das Material über die Diskussion um die Relativitätstheorie in der UdSSR seit 1950. Von 1951 bis 1955 wurde Einstein durch die offizielle Parteiphilosophie der UdSSR in den Anklagezustand versetzt. Der Prozess gipfelte in der Aufforderung, die Relativitätstheorie zu verwerfen und durch eine materialistische 'Theorie schneller Bewegungen' zu ersetzen. Selbst der Name 'Relativitätstheorie' sollte aus den physikalischen Lehrbüchern verschwinden [...]. Der Angeklagte, in der Reife seines Lebens vor die vehementesten Angriffe gestellt, kam nur durch sein Werk zu Wort. Dies genügte jedoch [...]".

****/8 Für Michael Weingarten ist die Trummsäge ein "ausnehmend besonderes Ding" in Bezug auf kollektives Handeln und Erkenntnis, d.h. als Teil eines Unterfangens einen nichtautoritären Begriff des kollektiven Handelns zu bestimmen, vgl. Mathias Gutmann und Michael Weingarten: "Spiegeln und Handeln. Von der metaphorischen zur tätigkeitstheoretischen Bestimmung des Denkens", in Josef König: "Denken und Handeln. Aristoteles-Studien zur Logik und Ontologie des Verbums", Reihe "Aus dem Nachlass von Josef König", Band 1, hrsg. von Mathias Gutmann und Michael Weingarten, Bielefeld: transcript 2005, S. S. 141-187.

Demnach reproduziert Lenins Widerspiegelungstheorie eine naturalistische Abbildtheorie. Diese Abbildtheorien sind nicht ungewöhnlich und finden sich z.B. auch bei Umberto Eco: "Über Spiegel und andere Phänomene", übersetzt von Burkhart Kroeber, 6. Auflage, München 2001. Sie gehen zurück auf eine Kritik des mens-mensura-Satzes (eigentlich: "Der Mensch ist das Maß aller Dinge") nach Protagoras durch Francis Bacon: "Aphorismen über die Interpretation der Natur und das Reich des Menschen" [EA 1720] (zitiert nach Günter Gawlick: "Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung", Band 4, Stuttgart 1985, S. 34). Bacon verwendet interessanterweise eine leicht modifizierte Übersetzung dieses Fragments des Vorsokratikers: "[D]ie Behauptung, der menschliche Sinn sei das Maß aller Dinge, ist unzutreffend; [...]. Der menschliche Verstand gleicht einem Spiegel, der die von den Dingen ausgehenden Strahlen nicht gleichmäßig  zurückwirft, sondern seine Natur in die Dinge hineinmischt, diese somit entstellt und verfälscht". Aus diesem (Zerr-)Spiegeldogma heraus ergeben sich auch die Differenzierungen nach der Logik der "Entstellung" und "Verfälschung" durch den Menschen. Eine davon abweichende philosophische Betrachtung der Spiegelmetapher bietet Josef König, der "Sein und Denken" gegen die Philosophie Martin Heideggers ("Sein und Zeit. Erste Hälfte", Sonderdruck aus dem "Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung", Band VII, herausgegeben von Edmund Husserl, Freiburg im Breisgau und Halle an der Saale: Max Niemeyer 1927) geschrieben hat.

Josef König: "Sein und Denken. Studien im Grenzgebiet von Logik, Ontologie und Sprachphilosophie" [EA Halle: Niemeyer, Halle 1937], 2. Auflage Tübingen: Niemeyer 1969, S. 67: "Das jeweils Selbstunterschiedene und hier also das ursprünglich Seiende ist vergleichbar einem Spiegel, der gleichfalls selber das Eine und Selbige ist, worin er (der Spiegel) selber und das Ding, das er spiegelt - und das als von ihm gespiegeltes, in gewisser Weise in ihm ist - Unterschiedene sind. Auch hier ist damit wesentlich verknüpft ein äußerer Unterschied Zweier: des Spiegels und des Dinges, das er spiegelt. Vorhandensein und Vorhandenseiendes sind in dem ursprünglichen Sein und Seienden in einer gewissen Weise darin; nämlich so, daß wir[!] jene und zwar jene selber[!] in dem Sein und Seienden gewahren können; so wie das Ding in dem Spiegel, der es spiegelt, in der Weise und in dem Sinn darin ist, daß wir im[!] Spiegel des Dinges selber[!] ansichtig werden können. Denn wir sehen im Spiegel nicht so etwas wie das Bild des Dinges, sondern in ihm das Ding selber", Hervorhebungen im Original gesperrt.

****/9 Die Vereinigung internationaler Verlags-Anstalten publizierte 57 Titel zwischen 1922 und 1928, u.a. Karl Korsch: "Quintessenz des Marxismus. Eine gemeinverständliche Darlegung", 1922; Rosa Luxemburg: "Koalitionspolitik oder Klassenkampf?", 1922 [dnb.de]; Hermynia Zur Mühlen: "Der Tempel. Roman", 1922 [dnb.de]; Erich Mühsam and Paul Frölich: "Das Standrecht in Bayern", 1923 [epub.ub.uni-muenchen.de], siehe Erich Mühsam, Niederschönenfeld: "Eine Chronik in Eingaben", 1924 (über Ernst Müller-Meiningen, "Pimperl Wichtig"); "Gegen den Krieg! Gegen die Bourgeoisie! Gegen die Sozialverräterei! Für die Weltrevolution! Für die Diktatur des Proletariats! Für den Kommunismus! Zum 10. Jahrestag des imperialistischen Krieges", 1924 [dnb.de]; Ernst Thälmann: "Locarno der neue Kriegspakt. Rede in der Sitzung des Deutschen Reichstags am 24. November 1925", 1925 [dnb.de]; Irene Róna: "Was Paulchen werden will", Umschlag und Textbilder von Jolán Szilágyi, 1926 [dnb.de]; Hermynia Zur Mühlen: "Lina. Erzählung aus dem Leben eines Dienstmädchens", 1926; Clara Zetkin: "Lenin ruft die werktätigen Frauen. Artikel Lenins zur Frauenfrage. Stimmen der Arbeiterinnen u. Bäuerinnen über Lenin. Erinnerungen an Lenin", 1926; "13 Jahre Mord [1914-1927]. Profit heißt Krieg!", 1927 [dnb.de]; Ernst Schneller: "Die Wahrheit über das russische Dorf. Tatsachen und Zahlen über die Lage der Bauernschaft in der Sowjet-Union", [1927].

****/10 Kautschuk (Maya: "caao-chu", "weinender Baum") scheint spätestens ab 1820 als Gummi zentrale Bedeutung bei der Herstellung von Sicherheitsventilen für Dampfmaschinen eingenommen zu haben, vgl. Irene Meichsner: "Gummi. Der Stoff, aus dem Industrieträume sind", Deutschlandfunk 29.04.2020. Entsprechend nennt Edwina Gandert, DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V., Frankfurt am Main, Kautschuk "[d]en heimliche[n] Star der modernen Welt" ("Trends aus der Kautschuk-Branche zur DKT", in: Magazin "KGK. Kautschuk - Gummi - Kunsstoffe", Heidelberg: Hüthig GmbH, Fachverlag für Industrie und Technik, Vol. 71, Juni 2018). Thorsten Oltmer: "Gummi für das Empire. Geschichte eines Schmuggels", spiegel.de, 26.01.2016: "Der Bedarf ist enorm, besonders seit der US-Chemiker Charles Goodyear 1839 die Vulkanisation entdeckt hat, die beständigen Gummi ermöglicht. Dampfmaschinen sind auf Gummidichtungen angewiesen, Schläuche werden aus dem haltbaren und flexiblen Material gefertigt, ebenso die Ummantelung der Unterseekabel. Die Preise explodieren. Die Briten wollen deshalb von Lieferungen aus Südamerika unabhängig werden und eigene Nachschubquellen aufbauen [...]". Das erste Sicherheitsventil für den 1679 von Denis Papin konstruierten Dampf-Kochtopf wurde 1681 in Marburg entwickelt, 1690 folgte die erste Dampfmaschine.

****/11 Eva Lezzi: "Geschlechterdifferenz und Judentum in Sigmund Freuds Schriften? Perspektiven der Rezeption", in: "Literatur, Mythos und Freud. Kolloquium zu Ehren von Prof. Dr. Elke Liebs 20. Juli 2007", hrsg. von Eva Lezzi und Helmut Peitsch, Potsdam: Universitätsverlag 2009, S. 15-50, Zitat S. 15: "Der folgende Beitrag sucht nicht nach einer neuen Interpretation der Einflüsse des Judentums in und auf Freuds Schriften****/12 insgesamt und seine Konzeption von Männlichkeit und Weiblichkeit im Besonderen, sondern versucht viel mehr die hierzu bereits geleisteten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen diskursanalytisch aufzuarbeiten. Dabei gilt es jedoch mögliche Erklärungsansätze dafür zu finden, wieso diese Frage immer wieder aufkommt und wieso die angebotenen Antworten so disparat bleiben".

S. 22: "Häufig stehen dabei Aspekte aus dem Kontext von Freuds zentralem Theorem des Ödipuskomplexes im Mittelpunkt der kritischen Aufmerksamkeit".

S. 35f.: "Bezogen auf Freuds Schriften, bezieht sich Boyarin [Daniel Boyarin: 'Unheroic Conduct. The Rise of Heterosexuality and the Invention of the Jewish Man', Berkeley u. a.: University of California Press 1997] im Kapitel Freud's Baby, Flies's Maybe. Or, Male Hysteria, Homophobia, and the Invention of the Jewish Man auf den Zeitraum um 1890, zu dem Freud die so genannte Verführungstheorie zugunsten des Ödipuskomplexes fast gänzlich aufgibt. Ging Freud bei der Verführungstheorie bekanntermaßen noch von realen sexuellen Missbrauchserfahrungen von Kindern durch Elternfiguren aus, so rückt er mit dem Ödipuskomplex die erotischen, auf den gegengeschlechtlichen Elternteil gerichteten Fantasien der Kinder ins Zentrum. Was Boyarin bei der Diskussion dieses Wechsels des theoretischen Konstrukts interessiert, ist der damit einhergehende Wechsel von einer homo- zu einer heterosexuellen Orientierung der Betroffenen sowie - unabhängig vom jeweiligen biologischen Geschlecht - von einer passiv 'weiblichen', d. h. verführten, zu einer aktiv 'männlichen', d. h. begehrenden, Position. Laut Boyarin reagiert Freud mit diesem Wechsel auf die zunehmenden homophoben und antisemitischen Schriften der Zeit, in der Juden und Homosexuelle häufig in eins gesetzt werden."

S. 46: "So wirft etwa Klaus Theweleit die Frage nach dem Zusammenspiel zwischen ödipalem Verhängnis und den sich aus dem präödipalen Unbewussten speisenden kollektiven männlichen Gewaltexzessen auf, und auch Horkheimer und Adorno führen in ihrem Nachdenken über Funktionsmechanismen des Antisemitismus u. a. triebökonomische Gründe an [Anm. 103: Siehe Klaus Theweleit: 'Männerphantasien', Bd. 2: 'Männerkörper. Zur Psychoanalyse des weißen Terrors', EA 1978, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1980; Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: 'Elemente des Antisemitismus. Grenzen der Aufklärung', in: 'Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente', EA Privatkopien 1944, Amsterdam: Querido-Verlag 1947 = Theodor W. Adorno: 'Gesammelte Schriften', hrsg. von Rolf Tiedemann, Bd. 3, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1997, S. 192-234]".

Theodor W. Adorno: "Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie"****/13 [EA Berlin: Merve 1971], in: "Gesammelte Schriften", hrsg. von Rolf Tiedemann, Band 8, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 84f.: "Das Humane bildet sich als Sinn für die Differenz überhaupt an deren mächtiger Erfahrung, der von den Geschlechtern. Psychoanalyse scheint in der Nivellierung alles dessen, was ihr unbewußt heißt, und schließlich alles Menschlichen, einem Mechanismus vom Typus der Homosexualität zu unterliegen: nichts sehen, was anders ist. So zeigen Homosexuelle eine Art Farbenblindheit der Erfahrung, die Unfähigkeit der Erkenntnis von Individuiertem; ihnen sind alle Frauen im doppelten Sinne 'gleich'. Dieses Schema - die Unfähigkeit zu lieben - denn lieben meint unauflöslich das Allgemeine im Besonderen - ist der Grund der von den Revisionisten viel zu oberflächlich attackierten analytischen Kälte".

Renate Göllner: "Freiheit und Trieb. An den Grenzen der Psychoanalyse. Essays", Freiburg / Wien: ça ira 2019, S. 49f.: "Auch wenn diese Negation von einer instinktiven Abwehr gegen die verleugnete Homosexualität autoritärer Männerbünde herrührt und obwohl Adorno später für die Abschaffung des Homosexuellenparagraphen in der Nachkriegsrepublik eintrat, blieben die Widersprüche aufrecht, zumal er bei seiner Kritik der homosexuellen 'Farbenblindheit' nicht zwischen der Homosexualität als Kultur autoritärer Kollektive und dem einzelnen Homosexuellen unterschied. [...] Gerade die Abstraktion vom Ödipuskomplex ermöglicht es [Simone de] Beauvoir wie auch [Jean-Paul] Sartre [entgegen Adorno], das Individuierte in der Homosexualität ebenso wie in der Heterosexualität vorauszusetzen, weil es in beiden Fällen um einen Anderen oder eine Andere und um den 'Blick' dieser Anderen oder dieses Anderen geht, welche jeweils niemals mit einem selber gleichgesetzt werden kann und darum noch die feinsten 'Farbnuancen' zu erkennen geben muss".

Abb. "Le divan de Freud" von Robert Huffstutter (2004) unter Creative-Commons-Lizenz CC BY 2.0 (modifiziert).

****/12 In der Bibliothek Kurt Wagenseils, Stand 2002, die auch Bestände des ältesten Bruders Prof. Ferdinand Wagenseil enthält, befindet sich eine Ausgabe Sigmund Freud: "Briefe 1873-1939", Berlin: S. Fischer 1960, mit einer Widmung: "'von der Forschung ist ja der Zwecke unablösbar und mehr als ein Bruchstückchen der Wahrheit hat man gewiß nicht herausbekommen' (S. 431) Herrn Prof. Wagenseil 1962 W. Schmidt". Es handelt sich um einen Brief Freuds an Stefan Zweig, "Wien IX, Berggasse 19, 17. Oktober 1937", S. 430f.: "Meine Arbeit liegt hinter mir, wie Sie es selbst sagen. Niemand kann vorhersagen, wie spätere Zeiten sie einschätzen werden. Ich selbst bin nicht so sicher, von der Forschung ist ja der Zweifel unablösbar, und mehr als ein Bruchstückchen der Wahrheit hat man gewiß nicht herausbekommen. Die nächste Zukunft sieht trübe aus auch für meine Psychoanalyse. Jedenfalls in den Wochen oder Monaten, die ich noch zu leben habe, werde ich nichts Erfreuliches erleben. Ganz gegen meine Absicht bin ich ins Klagen gekommen. Ich meine, ich wollte mich Ihnen menschlich annähern, wollte nicht als der Fels im Meere gefeiert werden, gegen den die Brandung vergeblich anstürmt. ber wenn mein Trotz auch stumm bleibt, er bleibt doch Trotz und - impavidum ferient ruinae [S. 498, Anm. 9: Zitat aus 'Horaz, Oden', III/3,7 lautet vollständig: 'Si fractus illabatur orbis, / Impavidum ferient ruinae,' - 'Selbst wenn der Weltbau krachend einstürzt, / Treffen die Trümmer ein Herz, das furchtlos']".

Gefolgt von einem Brief "An N.N.", 14. Dezember 1937, S. 431f., an einen "Doktor": "[...] Ich war überrascht, zu finden, daß schon das erste, sozusagen embryonale Erlebnis des [jüdischen] Volkes, der Einfluß des Mannes Moses und der Auszug aus Ägypten, die ganze weitere Entwicklung bis auf den heutigen Tag festgelegt hat - wie ein richtiges frühkindliches Trauma in der Geschichte des neurotischen Individuums. Voran steht hier die Diesseitigung der Lebensauffassung und die Überwindung des magischen Denkens, die Absage an die Mystik, beides auf Moses selbst zurückzuführen, und vielleicht nicht mit aller wünschenswerten historischen Sicherheit ein Stück weiter. Zwei Aufsätze im heurigen Jahrgang der 'Imago' bringen wenigstens einen Teil meiner Ergebnisse, die wichtigsten Stücke davon mußte ich zurückhalten [S. 498, Anm. 10: 'Moses - ein Ägypter', Wien 1937 - Gesammelte Werke XVI, 103, und 'Wenn Moses ein Ägypter war...' Imago, 1937 - Gesammelte Werke XVI, 114, die beiden Teile von 'Der Mann Moses und die monotheistische Religion', Amsterdam: De Lange 1939]".

Außerdem vorhanden ist Sigmund Freud: "Über Psychoanalyse. Fünf Vorlesungen", Wien: Deuticke 1910.

****/13 Ein Gegensatz zwischen dem "Weg Freuds" und dem "Weg von Marx" findet sich, allerdings gerade nicht in Bezug auf genannte Autor*innen einer sog. "neuen Linken", in den Tagebüchern von Anaïs Nin.

Einen "grundlegenden Entwurf des Existierenden" setzt Simone de Beauvoir in "Das andere Geschlecht" [EA "Le Deuxiènne Sexe", Paris: Gallimard 1949, auf deutsch Hamburg: Rowohlt 1952] ab von als einseitig kritisierten "Beiträge[n] der Biologie, der Psychoanalyse und des historischen Materialismus", eine vorgängige "Welt von Werten".

Valerie Solanas bzw. die das "SCUM-Manifesto" einleitende Vivian Gornick spricht in Bezug auf "the sexual role system" von einer "false" bzw. "unnatural dichotomy" (vgl. Artikel zur Olympia-Press in Paris, später New York).

Roswitha Scholz: "Das Geschlecht des Kapitalismus. Feministische Theorien und die postmoderne Metamorphose des Patriarchats", Bad Honnef: Horlemann, Edition Krisis 2000, S. 19: "In die Schußlinie gerät dabei insbesondere auch ein in linken und in manchen feministischen Konzepten vorfindbarer, emphatischer und prinzipiell positiv besetzter Begriff des 'Gebrauchswerts', weil dieser zum Beispiel als 'weiblich' gedacht wird und als solcher angeblich per se bereits Widerstandspotentiale in sich bergen soll. Denn bei der Entsprechung Gebrauchswert = Weiblich, Tauschwert = Männlich werden unter Beibehaltung der hierarchischen Unterordnung des Gebrauchswerts unter den Tauschwert wiederum geschlechtsspezifische Disparitäten lediglich aus der vermeintlich geschlechtsneutralen Warenform abgeleitet. Die Analyse verbleibt weiterhin in androzentrischer Manier bloß im Binnenraum der Ware". S. 20: "Das so bestimmte 'Abgespaltene', das aus der Sicht des androzentrischen, vom Wert erfaßten Formzusammenhangs an der Grenze zur Konsumtion gewissermaßen ins Leere führt, erscheint deshalb in der männlichen, eindimensional auf die Reflexion des Werts bezogenen Gesellschaftstheorie gleichsam als Ahistorisches, Qualliges und Formloses wie das Weibliche in der christlich-abendländischen Gesellschaft überhaupt, dem wertformanalytisch nicht mehr beizukommen ist. Nicht zur Abspaltung gehörig ist dagegen die Konsumtion von Produktionsmitteln, die betriebswirtschaf[t]lich vernutzt werden, wie Maschinen, Investitionsgüter usw.; diese verbleiben unmittelbar im 'männlichen Universum' des Werts". S. 23: "Mithin geht es um die Aufhebung von 'Männlichkeit' und 'Weiblichkeit' im bisherigen Sinne überhaupt, und damit auch der ihnen entsprechenden Zwangssexualitäten".

Im Science-Fiction-Film Franklin Adreon: "Cyborg 2087" (1966, imdb tt0060272) wiederum heißt die Figur des sog. mad scientist "Prof. Sigmund Marx". Er gilt neben der short story Harlan Ellison: "Soldier From Tomorrow", in: "Fantastic Universe", Oktober 1957, und dem Episodenskript Ellisons für die TV-Serie "The Outer Limits", Folge vom 27. Okt. 1964, "Demon with a Glass Hand", als eine der Vorlagen für den Film James Cameron: "Terminator" (1984, imbd tt0088247, alternativer Titel in Polen war "Elektroniczny morderca", übersetzt "Der elektronische Killer"). Zur Diskussion um neue "elektronische Medien" bzw. das Verhältnis von Technologie und Gesellschaft Anfang der 1980er vgl. die Passagen zu Marie Winn und Neil Postman im Artikel zu Ursula Pommer.

 

Zurück zu: "Warenform"
E-Mail: kriswagenseil [at] gmx [point] de