mit Bezug zu: Hans B. Wagenseil, Alfred A. Knopf Inc. (220 West 42nd Street and 221 West 41st Street, Manhattan), Anita von Einsiedel (Charles O'Neill → 6 West 70th Street, New York), London / New York: Verso (388 Atlantic Ave, Brooklyn)
In English: Short Introduction | En français: Brève introduction | Magyarul: rövid bevezető | På svenska: Kort introduktion | краткое введение | In italiano: Breve introduzione | En español: Breve introducción
Bild "Radio City Music Hall at night" von Marcella unter Creative-Commons-Lizenz CC BY 2.0 (Ausschnitt, modifiziert). "Date of official opening 27 December 1932", "Part of Rockefeller Center", "Named after Radio Corporation of America", "1260 6th Avenue, New York, NY 10020", "Art Deco", "Architect Edward Durell Stone". Ort des Geschehens von (3) "Spaziergang auf Wolkenkratzern".
Während drinnen in der Zelle der Schädel des Mörders kahlgeschoren wurde, vor der Türe ein Pressephotograph sein Stativ aufbaute, und der Scharfrichter, Mr. Burgler, ein letztesmal die Maschinerie des elektrischen Stuhls spielen ließ, kreuzte draußen auf dem Hudson John D. Whittakers Luxusyacht. [...]
Man sollte denken, ein Taxichauffeur sei ein Mann, der seine Stadt wie seine Tasche kennt. Weit gefehlt. Ich war noch nicht acht Tage in den Vereinigten Staaten, als ich schon eine Kraftdroschke fuhr. Das heißt, ich fuhr sie so gut, wie man sichs von einem Mann erwarten darf, der weder Newyork noch auch nur das landläufige Wechselgeld kannte.
Ich wollte mich sträuben, aber mein Freund, ein alter Kraftdroschkenfahrer, den ich getroffen hatte, wollte nichts davon hören. "Ich werde schon für deine Zulassung sorgen", sagte er. "Und deine Fahrgäste, daß du die Straßen kennen lernst und alles das. Taxivermietgeschäfte lieben Grünschnäbel - sie bringen mehr Geld heim". Von da begaben wir uns jeden Morgen, etwa eine Woche lang, auf die Uebungsfahrt. Ich machte meine erste vollständige Rundfahrt quer durch Newyyork.
Tags darauf bewarb ich mich bei einer der Vermietungsgesellschaften um Arbeit, gestand offen meine Kenntnisse und wurde sofort eingestellt. Am Nachmittag wurde ich von dem Fahrlehrer der Gesellschaft durch die ganze Stadt herumgejagt, um auf dieser einen Fahrt die Lage der wichtigsten Hotels und Standorte kennen zu lernen. Am nächsten Tag ließ man mich mit meiner eigenen Kraftdroschke los.
Irgendwie ratterte ich mich durch zu meinem ersten Fahrgast: In der Lexington Avenue eilte ein junger Mann die Stufen eines Hauses herunter und warf mir zwei hochelegante Lackkoffer zu. "Junge", sagte mein Fahrgast leutselig, "ein billiges Hotel suche ich, ja?"
Nun, das war so etwas wie ein Hereinfall - jemanden au erwischen, der von der Stadt nicht mehr wußte, als ich selber. Ich würde einfach am ersten Hotel, das ich sah, vorfahren und es ihn selber mit dem Empfangschef ausfechten lassen. Los gings. Ich kam an allem vorbei, was zu einer Großstadt gehört: an Bildergalerien, Theatern, Kinos, Gaststätten, Warenhäusern, aber nirgendwo ein Hotelzeichen.
"Den Weg verloren, Junge?"
- "Nein, nein," sagte ich so entrüstet wie unter den Umständen möglich. Ich versuche nur, das billigste Hotel für Sie zu finden, das es in der Nähe gibt, und ich bin nicht ganz sicher..."
"Oh, dann ist ja alles in Butter," fagte er mit leiser Ungeduld. Bringen Sie mich zu irgendeinem, ich will nicht den ganzen Tag in diesem Affenkasten herumfahren." Was jetzt tun? Eben fuhr eine andere Kraftdroschke an mir vorbei. Ich sauste nach und drehte neben dem Kollegen bei: "Wo," fragte ich, "ist hierorts das billigste Hotel?"
"Schau: siehst du das große Schild dort drunten am Ende der Straße? Kannst du lesen: 'Willkommen'? Lade deinen schoflen Kunden dort aus. Das ist die billigste Spelunke, die ich kenne."
Ich dankte ihm überschwänglich und folgte seiner Weisung. Es war in der Tat das schäbigst aussehende Hotel, das ich je gesehen hatte. Ich glaube, es war auch das schäbigste Hotel, das mein Fahrgast je gesehen hatte, denn er betrachtete das Haus äußerst kritisch und sagte: "So. Das ist das billigste, was? Na, ich weiß nicht, aber es ist jebenfalls das schmutzigste, das ich mir vorstellen kann. Sie sind sicher, daß es in bester Butter ist, was?"
"Oh ja doch," sagte ich. "Es sieht ein wenig windig aus von außen. Aber man darf ein Buch auch nicht nach seinem Einband beurteilen. Warten Sie, bis Sie es von innen sehen."
Einzig meine Unkenntnis Newyorks ließ mich den Platz nicht als das erkennen, was er war. Aber mein Fahrgast war anscheinend noch blinder als ich, und alles was ich hoffe, ist (sofern er diese Zeilen lesen sollte), wird er meine demütigen Entschuldigungen für die Verlegenheit annehmen, die ich ihm zweifellos damit bereitet habe, daß ich ihm seine feinen Koffer durch die Türe des Nachtasyls der Heilsarmee bugsieren ließ.
H. B. Wagenseil.
Wenn man in das spinnwebenartige Stahlgerüst eines Wolkenkratzers hinaufschaut, der sich in den Himmel hochschraubt, und die ameisenkleinen Männer über die obersten Verbindungsträger laufen sieht, wie sie von einem zum andern hinüberspringen, so denkt man, was für tollkühne Wagehälse sie sein müssen. Aber es ist nicht so schlimm.
"Wenn man einer von den Gerüstarbeitern dort oben ist," sagte der Bauleiter von Radio City in Newyork, "ist man genau so sicher wie hier unten."
"Wie ist es, wenn man über einen dieser Träger laufen muß?" fragte ich und deutete auf einen, der sich ungefähr vierzig Stockwerke hoch gegen den Himmel abhob.
"Dieser Ballen dort? Er ist an die dreißig Zentimeter breit. Läge er hier auf dem Boden, so würden Sie bis zum Bahnhof darauf spazierengehen und sich nichts dabei denken. Nun, er ist genau so breit da droben. Es ist nicht mehr dabei!"
Aber das ist nicht wahr. Nicht ganz. Ich weiß es, denn ich habe es versucht, - nur einmal, aber seitdem habe ich es in Nächten, wenn ich nicht recht schlafen kann, wieder und wieder getan.
Einmal sah ich einen Mann über einen nicht mehr als zehn Zentimeter breiten Verbindungsbalken laufen. Vielleicht fünfundzwanzig Stockwerke hoch. Plötzlich blieb er stehen. Mein Atem stockte. Er kniete auf dieser schmalen Stahlschiene nieder, mit nichts zu beiden Seiten, nichts unter ihm und band sich ruhig den Schnürschuh. Dann richtete er sich auf und ging weiter. Es war das einzig Richtige. Es bestand ernstlich Gefahr, daß er sich in seinem Schuhband hätte verfangen können.
Ich hatte gesagt, daß ich selbst nach oben gehen wollte, und daß ich sicher sei, genug Nerven zu haben, um die Leitern hinaufzuklettern, mich auf einen der Balken zu setzen und von einem Streber zum andern zu laufen. Und nun war ich auf meinem Weg nach oben. Die eiserne Leiter, die auf dem Träger des darunterliegenden Stockwerks ruhte, schwankte ein wenig unter unserem Gewicht, und es schien, daß der Windzug mit jedem Stockwerk heftiger wurde. Ich sah durch das schwarze Stahlgerippe hindurch. Meine Kehle trocknete aus. Möwen und Wasserflugzeuge flitzten über See und Himmel in dem ungebeuren blaugoldenen Frieden des Sonnenuntergangs. In der Ferne sah ich ein Schiff ins Unbekannte aufbrechen, und tief drunten die öligen, lagunenartigen Stromstrecken des Hudson, die Riesenkräne der Docks und einen kleinen, hellen Streifen: das war East River.
Endlich waren wir zuoberst auf dem Gerüst angelangt.
Es war mit Brettern verkleidet. Dann gingen wir hinaus an die äußerste Ecke. Dort lief ein Träger diagonal von der Ecke weg hinüber zu einem Streber. "Das Herz noch am rechten Fleck?" schrie mein Führer, ein junger Arbeiter, mir in die Ohren. "Hier ist ein geeigneter Balken, um darauf zu gehen. Breit wie ein Spazierweg." Es mußte ein zwanzig Zentimeter breiter Ballen gewesen sein. Er schien mir nicht breiter als fünf.
"Ich geh' zuerst", rief mein Begleiter und ging hinüber zum Streber. Er lehnte sich daran und zündete seine Pfeife an; dann kam er zurück. "Noch Luft?" Ich preßte die Lippen aufeinander und nickte. Ich trat an die Stelle, wo der Träger am Boden mit dem Streber vernietet war, an dem wir standen. "Einen Augenblick!" kam eine Stimme hinter mir. "Ich muß Ihnen den Sweater glattziehen. Sie könnten mit den Armen daran hängen bleiben". Ich fühlte, wie er mir den Sweater fest um die Hüften zusammenzog. "Fertig!" trat er zurück, "und denken Sie daran: schauen Sie nicht auf Ihre Füße!"
Ich bohrte die Augen auf den Strebepfeiler. Ich hatte befürchtet, die Knie könnten zittern; aber nein. Ich fühlte mich erstaunlich ruhig und gedankenleer. Ich trat hinaus auf den Träger. Er war nicht so schmal, genau genommen. Und ohne kaum die Füße zu heben, fast rutschend, fand ich mich unterwegs. Ungefähr halbwegs durchfuhr mich der lähmende Gedanke: "Angenommen, mein Hut würde mir vom Kopfe geweht!" Das einzige andere Gefühl, dessen ich mich entsinnen kann, war das einer unendlichen Einsamkeit.
Dann legte ich meine Hand an diesen köstlichen Pfeiler drüben. Ich hatte es geschafft! Ich schaute zurück nach dem jungen Arbeiter. Er lachte und deutete auf meine Hüfte. Zu meiner Verblüffung sah ich, daß sie von einem festen Seil umgürtet war. Der Bursche hatte das andere Ende gehalten und es einmal um den Pfeiler neben sich geschlungen.
Ich lachte nun auch und ging hinüber zurück, ohne einen Gedanken an Gefahr. Als ich endlich wieder unten auf der Straße stand, empfand ich nichts so angenehm als diesen breiten, ebenen, festen Gehsteig unter meinen Füßen.
(1) Revue des Monats 6.1931/32, H.5, März: "Der Henker von New York" [offensichtl. fiktiv]
Auch im (Neuigkeits) Welt Blatt, Wien (Anno), 15. Oktober 1932, S. 10f. (2) Hamburger Anzeiger vom 27. Mai 1933: "Taxichauffeur in Newyork"
Bereits im Essener Anzeiger, 29. Jg., Heft 121 (26.5.1932) als "Mein erster Tag als Taxichauffeur".(3) 1933, 1935, 1936, 1957: "Spaziergang auf Wolkenkratzern"
Der Bund, Schweiz, Band 84, Nr, 175 vom 14. April 1933.
Hamburger Fremdenblatt, 02.06.1933, Nr. 151.
Hallische Nachrichten, 18.05.1935.
HKB, Mannheim, Nr. 238 vom 26.5.1935.
Altenaer Kreisblatt, 103. Jg., Nr. 198, 25.8.1936.
Iserloher Kreisanzeiger und Zeitung, Nr. 206 vom 2.9.1936.
Alpenzeitung, Bolzano, 13.09.1936.
Oldenburger Zeitung für Volk und Heimat, Nr. 278 vom 12.10.1936.
Lippische Tageszeitung, 41. Jg., Nr. 241, 14.10.1936.
OVB Rosenheim vom 27.9.1957.
(4) Eibenstocker Tageblatt, 19.10.1935 und Hildener Rundschau, 19.10.1935, Nr. 244: "Amerikas Vorhölle"
Bevor man den Boden der Vereinigten Staaten betreten darf, muß man durch eine Vorhölle hindurch. Sie heißt, wenn man ein armer Teufel von Einwanderer ist, Ellis Island. Gehört man zu den irdisch Begüterten, nennt sie sich Zollbehörde. [...]