"Deutscher Verlag", Ullstein vor 1945

mit Bezug zu: Kurt Wagenseil, Künstler*innenkommunen / artists' communities (Willi Münzenberg)

Der "Deutsche Verlag", bei dem Kurt Wagenseil 1940-44 als insbesondere Lektor dienstverpflichtet wurde, war der Rechtsnachfolger des Ullstein-Verlages. Der Ullstein-Verlag wurde 1937 in "Deutscher Verlag" umbenannt und dem Zentralverlag der NSDAP (Franz Eher Nachfolger GmbH) angegliedert. Laut dem American Jewish Committee beschäftigte das Unternehmen während des Nationalsozialismus Zwangsarbeiter*innen (vgl.: "Auszüge der AJC-Liste der Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben sollen", Tagesspiegel, 27.01.2000).

Ullstein beginnt 1945 neu mit "Sie. Berliner Illustrierte Wochenzeitung", Lizenz B 206 der Nachrichtenkontrolle der amerikanischen Militärregierung, West-Berlin, Tempelhof (Erscheinen bis zum 28. September 1952, aufgegangen in: "Berliner Morgenpost").

 

Zuvor war [1939?] eine herauszuhebende heimliche Publikation Anton H. Krauße: "Staatenbildende Insekten", mit falschem Impressum "1925". Dabei handelt es sich laut Datenbank der dt. Nationalbibliothek um eine Tarnschrift mit dem nach einigen Tarnseiten beginnenden Inhalt: "Gegen die Politik von München - Einheit der Arbeiterklasse. S. 10-18. - Unser Wort zu Tagesfragen. S. 19-44. - Der Kampf um die Jugend in Hitler-Deutschland / M. Lade. S. 45-56. - Aus der Sowjetunion / A. Claire. S. 57-64. - Aus: Die Kommunistische Internationale. Nr. 2 (1939)".

Abb. Titelblatt der Ausgabe Anton H. Krauße: "Staatenbildende Insekten", Berlin: Ullstein 1925. Es handelt sich also um die Vorlage des Tarndrucks von 1939. Gliederung: "Termiten"*, S. 7; "Ameisen", S. 31; "Hummeln", S. 97; "Bienen", S. 106; "Wespen", S. 137; "Charakteristik der wichtigsten in Deutschland vorkommenden Ameisenarten", S. 144; "Die wichtigsten Unterarten und Varietäten unserer Honigbiene", S. 152.

In "Die Kommunistische Internationale", Nr. 3/1939, S. 540-542: "Aus der Kommunistischen Partei Deutschlands", "Beschluss der IKK im Fall Münzenberg": "Vor der faschistischen Diktatur in Deutschland führte Münzenberg als Anhänger der einheitsfrontfeindlichen, abenteuerlichen Neumanngruppe einen hinterhältigen Kampf gegen Ernst Thälmann, gegen das ZK der KPD und ihre Politik. [...] Als Münzenberg sich im Jahre 1932 - in Worten - von der Neumanngruppe** lossagte, übertrugen ihm die Partei und die Komintern verschiedene Aufgaben der Agitation und Propaganda, um ihm die Möglichkeit zu geben, in der Arbeit seine Schwächen und Fehler zu überwinden. [...] Bei einer Ueberprüfung im Jahre 1936 wurde festgestellt, dass Münzenberg in seinen Mitarbeiterkreis Elemente einbezogen hatte, die der Verbindung mit Feinden der antifaschistischen Bewegung dringend verdächtig waren und zum Teil auch überführt wurden. [...] Münzenberg gab ohne Befragen der Parteiführung und gegen ihren Willen solche Bücher und Broschüren heraus, die dem faschistischen Feind nützen, darunter ein Buch [Emil] Ludwigs***, das das deutsche Volk herabsetzt und beschimpft und ein sowjetfeindliches Buch des Trotzkisten [Fritz] Sternberg****. [...] Er [Münzenberg] verband sich mit trotzkistischen Elementen. [...] Daraufhin wurde Münzenberg am 6. März 1939 vom ZK der KPD aus den Reihen der KPD ausgeschlossen".

Willi Münzenberg spielt im Kontext der Herausgabe des Braunbuches eine Rolle, deren Autor*innen wiederum mit den Stationen Künstler*innenkolonie Berlin-Wilmersdorf (bis zum Reichstagsbrand), dann Flucht nach Paris (Druck des "Braunbuch über Reichtagsbrand und Hitlerterror") und schließlich größerenteils Exil in Mexiko verknüpft sind. Besitz von einem Exemplar des und ggf. Mitarbeit am "Braunbuch" waren u.a. Anschuldigungen der Gestapo gegenüber Kurt Wagenseil.

In Kurts Bibliothek gelistet sind mit Impressum "Berlin: Deutscher Verlag" Arthur Berger & Josef Schmid: "Das Reich der Tiere", 3 Bände, 1937; Otto Schulz-Kampfhenkel: "Rätsel der Urwaldhölle. Ein Expeditionsbericht aus Amazonien", 1938; Günther Olberg und Joachim Zabel: "Die Pflanze im Kampf ums Dasein", 1943; A. E. Johann: "Das Ahornblatt. Kanadisches Zwischenspiel", 1944.

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques ]

* Günther Eich: "Träume" [NWDR Sendung 1951], Frankfurt: Suhrkamp 1953, zitiert nach Manfred Koch: "Angstgeräusche. Die deutsche Seele im Hörspiel der Nachkriegszeit", Manuskript der Sendung vom 12.10.2020, SWR 2 [PDF].

S. 16 (einleitendes Gedicht): "Ich beneide sie alle, die vergessen können, / die sich beruhigt schlafen legen und keine Träume haben".

S. 13f. ("Sprecherin: Das erneut eingeschaltete Radio bringt schließlich die Erklärung für das merkwürdige Geräusch. Die Unterhaltungsmusik wird abgelöst von einem Vortrag. Es spricht ein 'Professor Wilkinson' über das Thema 'Die Termiten'[,] Archiv-Ton: Eich, 'Träume'"):

"PROFESSOR: Es lebt sich nicht angenehm, wo es Termiten gibt. Die Insekten zernagen in unersättlichem Hunger schlechthin alles, und der Mensch ist machtlos gegen sie. Ihre Freßmethode ist um so unangenehmer, als man für gewöhnlich erst dann etwas von ihrer zerstörenden Tätigkeit bemerkt, wenn es zu spät ist. Die Termiten haben die Gewohnheit, alle Gegenstände von innen her auszuhöhlen und eine dünne Außenwand wie eine Haut stehen zu lassen, die freilich dann eines Tages wie Staub zerfällt. Da kann es geschehen, daß man sich abends in seinem Haus zur Ruhe legt, und am Morgen erwacht man im Freien, weil das Haus über Nacht zu Staub zerfallen ist.

MUTTER: Hörst du das, Lucy? Lachend. Die Termiten zerfressen das Haus, und man erwacht im Freien. TOCHTER: Schalte das aus, Mama! MUTTER: Das war doch interessant. TOCHTER: Nein, nein! MUTTER: Was hast du, Lucy? Du bist ja ganz bleich".

S. 17 ("Sprecherin"): "Der Nordwestdeutsche Rundfunk hat die zum Teil schon während der Sendung eingegangenen Höreranrufe aufgezeichnet und transskribiert: 'Sagen Sie mal, was verzapfen Sie heute abend wieder für'n Mist im Rundfunk? Es ist zum Kotzen! Hängen Sie sich ihre ganzen Hörspiele an' Nagel, wissen Sie - schw[...]mäßig ist das!' 'Ich werde morgen mal versuchen, ob der Rundfunk nicht was anderes bringen kann, daß man sich abends mal freut. Ich möchte mal was Nettes hören, nicht?' 'Kann man den Mann nicht einsperren? Das ist ja so trostlos! Die Zeiten sind so, daß die Bevölkerung hier ja eigentlich nervös genug ist. So ein Blödsinn! Da ist ja jeder Schmutz, den Sie im Kino hören und sehn, ... ist ja Gold dagegen!'".

S. 8 ("Sprecherin"): "Eine besondere Angst in dieser psychischen Gemengelage war die Angst vor den Opfern des Nationalsozialismus. Nachkriegshistoriker vermuten, dass antisemitische Einstellungen nach 1945 noch zunahmen aufgrund einer tiefsitzenden 'Vergeltungsangst' der Deutschen".

** Innerhalb der KPD stand Heinz Neumann (1902-1937) 1931/2 im Widerspruch zu Stalin und Thälmann, diese unterschätzten die Gefahr einer Machtübernahme der NSDAP.

*** Fritz Sternberg (1895-1963) veröffentlichte u.a. "Die Juden als Träger einer neuen Wirtschaftskultur in Palästina", Breslau: R.- u. staatswiss. Diss. 1919; "Der Imperialismus", Berlin: Malik-Verlag 1926; "Der Niedergang des deutschen Kapitalismus", Berlin: Rowohlt 1932; "Der Faschismus an der Macht", Amsterdam: Verl. Contact 1935; "Deutschland wohin? Die Wirtschaft des III. Reiches und ihre Perspektive", Strasbourg: Imprimerie Française 1937.

**** Emil Ludwig (1881-1948; gest. in Ascona) schrieb z.B. "Führer Europas. Nach der Natur gezeichnet", Amsterdam: Querido-Verlag 1934; "Der Reichstagsbrand. Ursachen, Wirkungen, Zusammenhänge", Paris: "Défense" [um 1934]; "Hindenburg und die Sage von der Deutschen Republik", Amsterdam: Querido-Verlag 1935; mit Willi Münzenberg, Ernst Toller, Heinrich Mann Beiträger in "Eine Aufgabe. Die Schaffung der deutschen Volksfront", hrsg. von der Deutschen Freiheitsbibliothek, Basel: Universum-Bücherei 1936.

 

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