Galerie Thannhauser 1928-1931

mit Bezug zu: Kurt Wagenseil, Grete Lichtenstein, Alastair, Künstlerkommunen / artists' communities, Paul Gauguin

Kurt Wagenseil arbeitet 1928 bis 1931 bei der Galerie Thannhauser. Das schreibt er in einem Lebenslauf [nach dem Sommer 1957], so auch Groeg, "Who is Who", 1979/80, S. 651; schließlich erwähnt Kurt die Galerie in einem Brief an Clive Bell vom 16. Dezember 1928. "Der Galerist und Kunstsammler Justin Thannhauser [1892-1976] war der Sohn des deutsch-jüdischen Kunsthändlers Heinrich Thannhauser [1859-1934], bei dem die erste Ausstellung des Blauen Reiter (1911) stattgefunden hatte und der ein früher Förderer Pablo Picassos war. Nach Lehrjahren in der väterlichen Galerie [1909 bis 1928 Theatinerstraße 7, München] leitete Justin Thannhauser diese ab 1921. [...] 1927 kam eine Thannhauser-Galerie in Berlin dazu, die ab 1928 als Hauptsitz fungierte [1928 bis 1932 Bellevuestraße 13, Berlin]. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten gehörte die Familie Thannhauser zu den führenden Kunsthändlern Deutschlands. Sie unterhielt zahlreiche Geschäfts- und Freundschaftsbeziehungen, etwa zu Paul Cassirer, Alfred Flechtheim und Daniel-Henry Kahnweiler. 1937 emigrierte Justin Thannhauser von Berlin nach Paris, wohin er seit 1934 Teile seines Kunstbesitzes verlagert hatte; in Berlin zurückgelassene Bestände wurden später beschlagnahmt." (Die Galerie des 20. Jahrhunderts in West-Berlin. Ein Provenienzforschungsprojekt, Staatliche Museen zu Berlin. Preußischer Kulturbesitz, 2016).

Kurt Wagenseil worked at the Galerie Thannhauser from 1928 to 1931. He writes this in a curriculum vitae [after the summer of 1957], as also Groeg, "Who is Who", 1979/80, p. 651; finally Kurt mentions the gallery in a letter to Clive Bell of 16 December 1928. "The gallery owner and art collector Justin Thannhauser [1892-1976] was the son of the German-Jewish art dealer Heinrich Thannhauser [1859-1934], where the first exhibition of the Blaue Reiter (1911) had taken place and who was an early patron of Pablo Picasso. After years of apprenticeship in his father's gallery [1909 to 1928 Theatinerstraße 7, Munich], Justin Thannhauser managed it from 1921 [...] In 1927, a Thannhauser Gallery was added in Berlin, which functioned as the headquarters from 1928 [1928 to 1932 Bellevuestraße 13, Berlin]. From the beginning of the 20th century until the National Socialists came to power, the Thannhauser family was one of the leading art dealers in Germany. They maintained numerous business and friendship relations, for example with Paul Cassirer, Alfred Flechtheim and Daniel-Henry Kahnweiler. In 1937, Justin Thannhauser emigrated from Berlin to Paris, where he had moved parts of his art holdings since 1934; holdings left behind in Berlin were later confiscated." ("The 20th Century Gallery in West Berlin. A Provenance Research Project, National Museums in Berlin. Preußischer Kulturbesitz, 2016).

 

Ausgangssituation: "Thannhauser verläßt München"

"Im Juni 1927 eröffnete Thannhauser seine Berliner Galerie in der Bellevuestrasse 13" (ZADIK e.V.).

"Thannhauser verläßt München. [...] Es steht nunmehr leider fest, dass die Galerie Thannhauser demnächst aus München verschwindet. Denn da die Münchener Niederlassung des Unternehmens, dessen Zweigstellen in Berlin und Luzern gleichzeitig florieren, seit Jahren schon im wachsendem Defizit arbeitet, scheint es der Geschäftsleitung nicht mehr verantwortbar, sie weiter am Leben zu erhalten. Damit wird es nötig, einige Worte über die kulturhistorische Mission und Bedeutung dieser Galerie zu sagen. Denn in ihr lernte München einstmals in ihrem ganzen Umfange erst die Kunst etwa van Goghs, Gauguins, Renoirs oder auch Biedermanns, Corinths, Trübners, Slevogts kennen. In ihr traten die Besten aus Münchens eigenem Nachwuchs, wie Weisgerber, Marc, Kandinski an die Oeffentlichkeit, während au den Vortragsabenden der Galerie beispielsweise Wölfflin, Meyer-Graefe, Osthaus auf dem Podium standen. [...]" (Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, Morgen-Ausgabe, 04.11.1928, S. 3).

Ausstellungen in Berlin ab 1927

"Eröffnungs-Ausstellung unseres neuen Berliner Hauses. 13 Bellevuestr. 13". Berlin, München, Luzern: Galerien Thannhauser, 1927 [digi.ub.uni-heidelberg.de].

"Gauguin" (Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, Abend-Ausgabe, 16.10.1928, S. 3, Abb.; Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, Morgen-Ausgabe, 16.10.1928, S. 28);
"Kurt Kroners Gesamtwerk [...] im Dezember [...] in Berlin" (Berliner Börsen-Zeitung, Morgenausgabe, 05.12.1928, S. 8; Berliner Börsen-Zeitung, Morgenausgabe , 11.12.1928, S. 7; Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, Abend-Ausgabe, 13.12.1928, S. 4);
"Gemälde von Richard Seewald" (Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, Morgen-Ausgabe, 06.12.1928, S. 18);
"Le Fauconnier, Gemälde und Aqarelle, deutsche u. französische Meister" (Deutsche allgemeine Zeitung, Sonntag Morgen, 16.06.1929, S. 5);
"Bildnisbüsten des Münchener Bildhauers Prof. Th. Georgii, (des Schwiegersohnes des verstorbenen Meister Adolf von Hildebrand)", "Suzanne Carvallo-Schülein [...] Bildnis der Gattin des Dichters Bruno Frank" (Berliner Börsen-Zeitung, Morgenausgabe, 06.12.1929, S. 8);
"Die große Matisse-Ausstellung" (Berliner Börsen-Zeitung, Abendausgabe, 15.02.1930, S. 3; Vorwärts, 20.02.1930, S. 3; Schwäbischer Merkur, mit Schwäbischer Kronik und Handelszeitung, Süddeutsche Zeitung, 05.04.1930, S. 11: "Berliner Kunstbrief");
"Moderne Meister. Lebende Kunst" (Deutsche allgemeine Zeitung, Sonntag Morgen, 23.11.1930, S. 14; Ausgabe Groß-Berlin, Sonntag Morgen, 07.12.1930, S. 10).

"The early years in Berlin must have been very successful for Thannhauser. The photos of the 1927 exhibitions, of the great Gauguin exhibition in October 1928, and of the Matisse exhibition of 1930 - much lauded in the international press - feature numerous key works of the modern period, and Stock books 1 and 2,2 along with various other archival items, document the sale of these works into the major private and public collections of Europe and America. Another outstanding event was undoubtedly the 'Claude Monet Commemorative Exhibition' of spring 1928, which was organized in association with the French Ministry of Culture and featured seventy oil paintings covering every period of the artist's work. After the Matisse exhibition of 1930, however, records of Thannhauser's further operations become decidedly thin. This was probably mainly due to the Great Depression of 1929, in the wake of which art-dealing in general took a downward turn. For 1931, we still have evidence - indirectly - of a Degas exhibition. In 1932, the gallery moved to Viktoriastrasse 1, on the corner with Tiergartenstrasse, and from 1934 to 1937 it is listed in the directories at Bellevuestrasse 10" (Günter Herzog: "A brief history of the Thannhauser archive", in: "The Thannhauser Gallery. Marketing Van Gogh", Amsterdam: Van Gogh Museum 2017, S. 82-95, Zitat S. 83).

Handelsregister

"Handelsgesellschaft seit 15. Mai 1907. Gesellschafter sind die Kaufleute: Heinrich Thannhauser, Feldafing b /München, Justin Thannhauser, Berlin. Dem Paul Roemer, Berlin, ist Prokura erteilt" (Berliner Börsen-Zeitung, Abendausgabe, 30.03.1929, S. 15).

Skandal um gefälschte Van-Gogh-Gemälde

Die Zeit Kurts bei der Galerie überschattet ein Skandal um gefälschte Van-Gogh-Gemälde, die Otto Wacker an mehrere Galerien verkaufte, angeblich aus einem russischen Vorbesitz, der nicht genannt werden wollte (Castrop-Rauxeler Volkszeitung: Stadtkreis Castrop-Rauxel, 03.12.1928, S. 2: "Die dreißig gefälschten van-Goghs").

Der Prozess findet allerdings erst statt, als Kurt und Thannhauser sich wieder getrennt hatten: "Dann wurde der Kunsthändler Thannhauser vernommen: Er habe 1927 eine van-Gogh-Ausstellung veranstaltet und das ihm von Wacker angebotene Bild mit den Pappeln der Ausstellung eingefügt. Dort hätten es alle deutschen und europäischen Sachverständigen gesehen. Es habe viel Beifall gefunden, und kein Zweifel sei laut geworden. Die Galerie Thannhauser selbst habe aber, weil Wacker beharrlich die Angabe der Herkunft verweigert habe, gewisse Zweifel gehabt. Aus dem vierbändigen Werk von de la Faille habe man später mit Überraschung gesehen, wie viele Bilder von Wacker stammten. Der Zeuge legte ausführlich dar, wie schließlich die Überzeugung Platz gegriffen habe, daß es sich hier um Fälschungen handle" (Kölnische Zeitung, 08.04.1932. S. 3: "Der van-Gogh-Prozeß").

Gemeint ist wahrscheinlich eine Fälschung, die Zypressen darstellt, keine Pappeln, der Artikel von 1929 listet: "Nr. 614 Zypressen. Nr. 616 Zypressen. [...] Nr. 713 Olivenbäume. [...] Nr. 741 Zypressen. [...] Nr. 824 Landschaft mit Baum. [...] Nr. 710 Olivenbäume. Nr. 715 Olivenbäume. Nr. 741 Die zwei Zypressen".

Thannhausen (im schwäbischen Landkreis Günzburg)

Karl Landherr: "Geschichte der Juden in Thannhausen", "Heimatheft-Eintrag Nr. 11", um 2007: "Erstmalige Erwähnung von Juden in Thannhausen 1541 - Im Jahr 1595 waren 254 jüdische Bürger gemeldet, das waren ca. 13% der Bevölkerung. 1627 Neubau einer Synagoge im unteren Markt - Sie wurde 1719 abgerissen. [...] 1718 gab Kaiser Karl V. von Österreich die Erlaubnis, alle noch anwesenden Juden (ca. 20 Familien) aus Thannhausen auszuweisen. Die meisten fanden eine neue Unterkunft in Krumbach und Ichenhausen".

Mit Verweis auf Zeitungsartikel der Mittelschwäbischen Nachrichten vom 08.10.2007 ("Top-Galeristen und ihre Wurzeln an der Mindel"):

"Josef Schuster forschte nach und ihm wurde bestätigt, dass die Vorfahren dieser Kunsthändler aus einer Gemeinde namens Thannhausen in der Nähe von Ulm stammten und dass einer dieser Vorfahren Baruch Löw hieß. Dieser Baruch Löw ist im Bronnenmaier-Heimatbuch nachgewiesen, so steht für Josef Schuster fest, dass die Wurzeln der 'Thannhauser' nach Thannhausen zurück reichen".

Isidor Kahn (Krumbach): "Die Juden in Thannhausen", in: "Bayerische Israelitische Gemeindezeitung" vom 8. Juni 1926, zitiert nach "Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum" [alemannia-judaica.de], 2003: "Das Salbach (Steuerliste) 1599-1602 enthält die Namen Lazarus Judt, Isaak Barlen Judt, Seligmann Judt, Mayer Judt, Veis Niederländer Judt, Kauffmann Judt, Aberlen Schatz, Bebers Judt, Samuel, Schwarz Szigle, Benjamin, Doktor, Eberlen, Doktors Sohn, Jocklin, Doktors Sohn, Isaak Maier, Jakob Fillenschreiber, Schemuel, Veis Lene, Jakob, genannt Blattfus, Jecklin von Neuburg, Jakob, genannt Schattoy. [...] Einige Juden besaßen auch Grundbesitz, wofür die Grundsteuer entrichten mussten. 1599 bezahlte die Judengemeinde jährlich für die Benützung der Mindelbrücke 21 Gulden, Weid- oder Rossgeld im Betrage von 17 Gulden. Über ihre Tätigkeit gibt das Steuerbuch wenig Anhaltspunkte; einige besaßen wohl Grundbesitz, doch dürfte der größere Teil sich mit Nothandel seinen Lebensunterhalt erworben haben. Ihre Häuser lagen im ganzen Markt zerstreut, doch scheinen sie im Bachgassenwinkl vorherrschend gewesen zu sein. Dort lag auch ihre Schule im Haus des Juden Jecklin. Jecklin und Anstall waren die jüdischen Lehrer. Auch am Marktplatze standen zwei Judenhäuser, darunter eine Weinschenke, die von einem Juden namens Blattfus geführt wurde".

Abb. Karte Schwaben zwischen Ulm und Augsburg, unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 2.0, von de.wikivoyage.org via openstreetmap.org (modifiziert).

Literatur

Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels, Köln: Geschäftsunterlagen Justin Thannhauser/Siegfried Rosengart, Bestand 1919-1971, digitalisiert, 2020 [A77].
Boehler re:search Datenbank für Transaktionen, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München [zikg.eu].
Mario-Andreas von Lüttichau: "Die Moderne Galerie Heinrich Thannhauser in München", in: "Avantgarde und Publikum. Zur Rezeption avantgardistischer Kunst in Deutschland 1905-1933", hrsg. von Henrike Junge, Köln 1992, S. 299-306 (S. 305 gibt für Paris 1936 an: "Rue Miromesnil").
Matthew Drutt: "The Thannhauser Collection of the Guggenheim Museum", New York 2001.
Günter Herzog: "Aus dem ZADIK. Geheimrat Justi ist ein wichtiger wie schwieriger Kunde", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.09.2015 [faz.net].
Eva Chrambach: "Thannhauser, Justin", in: "Neue Deutsche Biographie" (NDB), Band 26, Berlin: Duncker & Humblot 2016, S. 80f. [digitale-sammlungen.de].
"The Thannhauser Gallery. Marketing Van Gogh", Amsterdam: Van Gogh Museum 2017 [PDF, Auszüge].
Valerie Nikola Ender: "The Thannhauser Galleries. Forming International Alliances in an Era of Change", in: "Pioneers of the Global Art Market. Paris-Based Dealer Networks, 1850-1950", ed. v. Christel H. Force, New York: Bloomsbury Publishing 2020, S. 119-134, insb. S. 123 u. Figure 8.2: "[t]he modern entrance with its curved glass panel was designed by the Berlin architects Hans and Wassili Luckhardt and Alfons Anker".
Valerie Nikola Ender: "Historische Kunstmarktforschung. Die Galerie Thannhauser - eine Spurensuche", Blog der Koordinationsstelle für Provenienzforschung in Nordrhein-Westfalen, Bonn 17.05.2022.
Konstanze Schmeltzer: "Die 'Moderne Galerie' Thannhauser. Schaufenster der internationalen Moderne in München", MunichArtToGo, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, 2022.

 

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