Kurt Wagenseil 1904-1988: VI. 1970: "Ein Gläschen Kognak für Einstein" ("A glass of cognac for Einstein")

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VI. A glass of cognac for Einstein:

Ein Gläschen Kognak für Einstein

Von Kurt Wagenseil

Schon damals hieß Bologna mit seiner mittelalterlichen Schönheit von Kuppeln und Spitztürmen und den schweigenden Toren, hinter denen Gärten voll Duft und Schönheit lagen, die Alma mater studiorum. Eines Tages, als Albert Einsteins Relativitätstheorie bereits für die ganze Welt ein Begriff war, kam der Professor nach Bologna und hatte mich gebeten, mich einer jüngeren Tochter anzunehmen und sie in die Oper und in die Museen zu begleiten. Unter Führung des damals bedeutendsten jungen Germanisten Vincenzo Errantes [1890-1951] wollte er auch das Haus von Carducci besuchen. Als er die Erinnerungsstücke an diesen großen Dichter und Italiens und Nobelpreisträger von 1906 betrachtet hatte, äußerte der Gelehrte den Wunsch, vor seiner Abreise noch in einer kleinen Kneipe mit echt bolognesischem Anstrich zu Abend zu essen, um dort in Frieden einen Teller Tagliatelle zu verzehren. Zuerst hatte man ihn in ein großes modernes Hotel führen wollen, aber Einstein erhob lebhaften Einspruch, weil er in Bologna lieber in ein kleines, verräuchertes, halbdunkles und schweigsames Lokal gehen wollte, mit vergitterten Fenstern, hinter denen dicke Köche die herrlichen Nudeln herstellten. Da wurde Einstein in ein Lokal geleitet, das den Namen eines bunten Vogels führt, unweit von S. Petronio, in eine halbversteckte Wirtschaft, deren Wände mit Bildern berühmter Männer und schöner Frauen ganz bedeckt waren, die alle hier schon einmal gegessen und getrunken hatten. Da gab es den ehemaligen Kronprinzen von Bayern und einen Dänenprinzen, die Herzogin von Aosta, neben Siegfried Wagner und Donna Rachele, der Gattin Mussolinis. Schon nach zehn Minuten hatte der Koch, dem das Lokal gehört und der auf einem erhöhten Podest sitzend die Operationen der Küche leitete, aber auch die Gäste überwachte, den Namen des erlauchten Gastes erfahren, und nun konnte man ihn seine Befehle rufen hören: "Eine Portion Tagliatelle á la Duchesse für Professore Einstein!" - "ein Kotlett mit weißen Trüffeln für Professore Einstein!" - "Einen Kognak Napoleon..." "Keinen Kognak für mich", erklärte Einstein, "danke vielmals."

Da kam der Koch und Wirt selber mit einer uralten Kognakflasche, zog die weiße Mütze vom Kopf, hielt dem Gelehrten ein Tablett mit einem Gläschen hin, zeigte ihm das vergilbte Etikett auf der Flasche und fing an, das Mysterium zu erläutern: "Diese alte Flasche..."

"Danke vielmals, aber ich trinke keinen Kognak", unterbrach ihn Einstein. "Diese alte Flasche kam kürzlich im tiefsten Keller eines der ältesten Paläste unserer Stadt zum Vorschein. Sie ist sozusagen eine Reliquie..."

"Ich sage Ihnen doch, daß ich nicht trinke." - "Und hier, Herr Einstein, steht das Bild des Kaisers. In seinem Namen bitte ich Sie, ein halbes Gläschen zu genehmigen..."

Wie hätte Einstein Napoleon hächstpersönlich einen Korb geben können?

Quelle: 1./2. August 1970 (Zeitung unbekannt, da nur einzelne Kopie erhalten, unter der Erzählung beginnt ein Anzeigenteil für die Stadt Bingen)

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques: Albert Einstein ]

(1) bologna.online: 22 ottobre 1921, Conferenze di Einstein sulla Relatività, "Il fisico e filosofo tedesco Albert Einstein (1879-1955) tiene a Bologna una serie di conferenze sulla relatività. E' invitato dal prof. Federigo Enriques (1871-1946), docente di Geometria proiettiva all'Università, a nome di un comitato cittadino che opera per la divulgazione scientifica. Le conferenze si tengono il 22, 24 e 26 ottobre nell'aula dello Stabat Mater dell'Archiginnasio."

(2) Einstein heiratete 1919 Elsa Löwenthal, geb. Einstein, seine Cousine. Sie brachte ihre Stieftöchter Ilse (1897-1934) und Margot (1899-1986) in die Ehe, vgl. "Einstein's relationship to his sons was of central importance in the years after his mother's death, but remarriage has also given him two daughters, who had taken the name Einstein by legal decree even before he became her stepfather. Einstein treated them with affection, even love, but it did not strike obersvers as the love of a father. After all, thanks to Elsa's parentage, they were also his second cousins. Ilse, her mother's favorite, was a delicately young woman who kept sophisticated company and dressed in the latest fashions. In 1924 she married Rudolf Kayser, the editor of Germany's foremost literary magazine, and moved with him to a modishly furnished house were they played host to Berlin's smart set. She continued to visit her old home, but Einstein spent far more time in the company of her younger sister. Margot was a frail and nervous individual, plainer and less sociable than Ilse, who remained living at home even after her marriage in 1930 to Dimitri Marianoff [nach der Flucht ins Exil geschieden]. Margot and Einstein grew extremly close, and he encouraged her developing career as a sculptor" (Roger Highfield, The private lives of Albert Einstein, London Bonston: Faber & Faber 1993, S.193).

menscheinstein.de, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte: "1929 trat der Traumprinz in Gestalt von Dimitri Marianoff auf, der bei der sowjetischen Botschaft in Berlin die Abteilung Filmvertrieb leitete. Mit ihm ging sie [Margot] 1930 als Begleitung des von ihr sehr verehrten Rabindranath Tagore (1861-1941) auf eine Reise durch die Sowjetunion."

(3) Vgl. zur Herausgeberschaft des Braunbuchs Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern, Karikatur auf Einsteins politische Tätigkeit, Kladderadatsch, Nr. 39 (September 1933): "Die Karikatur verspottet Einsteins politische und wissenschaftliche Tätigkeit: 'Autorenruhm scheint etwas "Relatives" zu sein. Das Braunbuch, dessen Herausgabe von Einstein veranlaßt worden ist, und das gegen Deutschland hetzt, entpuppt sich als Reklame für die Kommunistische Internationale. Einstein rückt von dem Buche ab.' Beim 'Braunbuch' handelt es sich um eine von kommunistischen Schriftstellern und Journalisten herausgegebene Materialsammlung über nationalsozialistische Verbrechen und Täter."

(4) Romain Rolland: "Begegnung mit Einstein", 16. September 1915, übers. von Kurt Wagenseil, Walliser Bote, 9. November 1971, a.a.O.: "Während ich Einstein beobachte, wird mir klar, daß er gerade infolge der sehr kleinen Zahl von Geistern, die inmitten der allgemeinen Servilität der Intelligenz ihre Freiheit bewahrten, rückwirkend dahin geführt wurde, die schlechtesten Wesenszüge seines Volkes zu sehen und es nahezu mit der Härte seiner Feinde zu richten. Ich kenne auf französischer Seite mehr als einen Mann, der ihm was diese auf den Kopf gestellte Parteilichkeit angeht, die Hand würde reichen können".

 

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