Anita von Einsiedel, geb. Sternberg, verh. Emden (1888-1973)

Bezug zu den Biographien Kurt Wagenseil, Hans B. Wagenseil

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Inhaltsverzeichnis (table of contents)

I. Leben (life)
II. Wilhelm Hausensteins Tagebuch, verarbeitet von Martin Walser (the diary of Wilhelm Hausenstein, quoted by Martin Walser)
III. Rosemarie von Wedel ("Sparrow. The Wartime Journey of Rosemarie Von Wedel", edited by Ursula Perrin, Stillwater/Oklahoma: Stillwater Press, 2002)
IV. Nennungen in Briefen von Kurt Wagenseil (the countess mentioned in the letters of Kurt Wagenseil)
V. Gerhardt zitiert Widerstandskreis (Gerhardt quoted resistance circle from US Military Document POLAD 729/45)
VI. Nazigegner, Spion und Ascona-Soziograph Curt Riess (Nazi opponent, spy and sociograph of Ascona Curt Riess)
VII. Wilhelm Roloff und Lexi von Alvensleben: Verwandtschaft mit Adolkar von Einsiedel (Wilhelm Roloff and Lexi of Alvensleben: relatives of Adolkar of Einsiedel)
VIII. Nachbarschaft zu Frick: "Fühlung" mit dem Widerstand im Umfeld von Kempfenhausen (neighborhood to minister Frick: contact with resistance in the environment of Kempfenhausen)
IX. Maler Freiherr Leo von König (Leo of Koenig, painter of Berlin's Secession)
X. "Aus der Verlustliste des anderen Deutschlands": Kontakte zu den "Deutschen Blättern" in Chile ("From the loss list of the other Germany": Contacts to the "Deutsche Blätter" in Chile)
XI. Kurt Wagenseil 1944 beim Abhördienst "Seehaus" (Kurt Wagenseil 1944 at the bugging service "Seehaus")
XII. Widerstandsgruppen, Verfolgung etc. in München (resistance circles, persecution etc. in Munich)
XIII. Ernö Szép: "Zerbrochene Welt. Drei Wochen 1944", aus dem Ungarischen von Ernö Zeltner, München: dtv 2014 (Ernö Szép: "The Smell of Humans. A Memoir of the Holocaust in Hungary", Budapest: Corvina in association with Central European University Press, 1994)
XIV. Thea Sternheim, Tagebücher 1948 (diaries)
XV. Erich Maria Remarque

 

XI. Kurt Wagenseil 1944 beim Abhördienst "Seehaus"

Kurt gibt in seinem Lebenslauf von [nach Sommer 1957] an, dass er von "1944-Kriegsende" "in den Abhördienst Seehaus, Berlin-Wannsee des OKW (Sender Algier)" "dienstverpflichtet" worden war (OKW = "Oberkommando der Wehrmacht"; OKH = "Oberkommando des Heeres"; untergebracht im sog. "Schwedenpavillon").

(1) Willi A. Boelcke: "Die Macht des Radios. Weltpolitik u. Auslandsrundfunk 1924-1976", Frankfurt am Main: Ullstein, 1977, S. 479:

"Goebbels' Duell mit dem 'grauen Nachrichtenmarkt' glich ebenfalls einem Ringen mit Windmühlenflügeln. Den 'Infektionsherden' war nicht beizukommen. Unter Eingeweihten führte das 'Seehaus' den Namen 'Sabotage-Club'. Der Polizeiapparat stand der 'Brutstätte gegnerischer Nachrichtendienste' machtlos gegenüber. Reichskriminaldirektor Müller ließ den 'Verein' ständig beobachten, meinte aber resignierend, man könnte hier nur in gewissen Grenzen 'abschirmen' [Anm. 35: Lochner: Goebbels' Tagebücher, S. 51 Anm.; ausführlicher ders.: The Goebbels Diaries. London 1948, S. 10; W. Schellenberg: Memoiren. Köln 1959, S. 219-220]. Dr. Gerhard Kramer, Dichter und Novellist, als Lektoratsleiter im 'Sehhaus' eine dessen Säulen, war aktiver Antifaschist. Auch andere Mitarbeiter gehörten der Widerstandsbewegung an. Nach dem 20. Juli 1944 suchte Mair [Vorstandsvorsitzender Interradio AG Kurt-Alexander Mair] den Kontakt zu antifaschistischen Persönlichkeiten namentlich kirchlicher Kreise. In Görings Forschungsamt organisierten sich ebenfalls Zellen der Widerstandsbewegung. Regierungsrat Plaas, der einer Widerstandsgruppe angehörte, wurde, als die Tatsache entdeckt worden war, von einem leitenden Beamten der Dienststelle erschossen [am 19. Juli 1944; Anm.]. Daß die 'Sehhaus-Abhörberichte' der BBC, der 'Stimme Amerikas' und von 'Radio Moskau' von Widerständlern aus dem Berliner Funkhaus an den Wachen vorbeigeschmuggelt wurden, um damit wirkungsvoller Flugblätter abfassen zu können, darauf kam die Gestapo nicht [Anm. 36: Hoff: Kiesinger, S. 70; G. Ritter: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. Stuttgart 1955, S. 102; Darauf kam die Gestapo nicht. Beiträge zum Widerstand im Rundfunk. Berlin 1966, S. 20f. u. 40f.]".

(2) "Darauf kam die Gestapo nicht. Beiträge zum Widerstand im Rundfunk", hrsg. vom Sender Freies Berlin, Buchreihe SFB 4, Berlin: Haude & Sepnersche Verlagsbuchhandlung, 1966, Beitrag Hans Kasper: "Darauf kam die Gestapo nicht", S. 19-36, ins. S. 20: "Es gibt Augenblicke, in denen sich das gesamte Leben zu einem Blitz bündelt. Alles Empfinden und Denken konzentriert sich auf einen Punkt. Es muß etwa gegen 1.00 Uhr nachts gewesen sein. Das Jahr: 1944. Ich arbeitete im Reichsrundfunk [Masurenallee, Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf]. Es war keine reguläre Arbeit. Ich zog Flugblätter ab, auf einer Vervielfältigungsmaschine. Plötzlich öffnet sich, fast lautlos, die Tür. Ich komme nicht einmal mehr dazu, meinen Revolver zu fassen, den ich mir für den schlimmsten Fall zurechtgelegt habe. In der Tür: Herr von W., mein Vorgesetzter. Mein Vorgesetzter in der Redaktion wohlgemerkt, am Tage - nicht hier, bei diesem nächtlichen Vorhaben. Die Farbe meines Gesichtes, hat er mir später einmal gesagt, wäre ein faszinierendes Meergrün gewesen. Mehr diese Farbe als die Fahrigkeit des Überraschten habe seine Neugier geweckt und ihn bewogen, eines der abgezogenen Blätter zur Hand zu nehmen. Was darauf stand, weiß ich nicht einmal mehr genau. Aber dem Jahr und der Stunde gemäß war in etwa dem Wunsche Ausdruck gegeben, daß unser Führer Adolf Hitler baldmöglichst das Zeitliche segnen möge. Bestimmt nicht ganz so fein ausgedrückt, dazu war man damals zu ärgerlich. Zurück zum Besuch. Der las, sah mich an und sagte: 'Das Papier, Mensch, am Papier werden sie es doch herauskriegen.' Sie - das war die Gestapo. Er sagte es und ging. Er ist heute ein bekannter Verleger in der Bundesrepublik. Diese Besuchsminute war - neben ihrem Schrecken - eines der anständigsten Erlebnisse in jener Zeit. Es gab nicht viele davon. Daß Herr v. W. nie etwas davon verlauten ließ, war nicht nur selbstverständlich; denn natürlich brachte er auch sich selbst in große Gefahr. Er wußte ja nicht, was morgen oder übermorgen geschah. Ob man mich schnappen würde, weich machen. Schließlich gehört zum Helden ja, erwischt zu werden und - dann noch einer zu sein."

S. 21: "Denn ich kann sie gut aufzählen, fast an den Fingern, die paar Menschen, die da waren, als es brannte. Denen man sich anzuvertrauen wagte, wenn es real wurde. Oder die man gar um Hilfe bei der Aktion angehen konnte. Da war ein alter österreichischer Baron, Arno von Spetzler, der mir auf einem Dachboden Versteck für Flugblätter gab; da war ein Schauspieler, Erich Kabitzki, der ein paar unbekannte Helfer in anderen Stadtteilen zum Verteilen organisierte; da war eine alte Bekannte, auch im Rundfunk, Barbara von Sichart; da war Carla Höcker, die Schriftstellerin; da waren meine Frau und ihre Familie - und eigentlich sind das schon alle. Hier und da noch einer, der mal mithalf. Aber es waren kaum ein Dutzend Leute, die ich guten Gewissens nennen könnte. Und übrigens auch lauter Leute, die nachher kaum davon geredet haben."

(3) "Darauf kam die Gestapo nicht", a.a.O., Beitrag Rudolf-Günther Wagner [S. 87: "1941 Chefsprecher Europasender"]: "Orden für einen 'Helden'", S. 37-65, insb. S. 42: "[Weihnachtsfeier 1943] In meinem Büro präpariere ich ein Plakat, gehe so unaufällig wie möglich die Treppe hinunter, an der Führerbüste vorbei, hefte es im Weitergehen unbemerkt an. Unter dem martalischen Führerschnurrbart steht jetzt schön groß und leserlich: Der Krieg ist verloren! Nun noch schnell die beiden SS-Männer, die stumm und brummig Wache schieben, begrüßen, sie in ein Gespräch verwickeln, ihnen einen doppelten Schnaps anbieten und dann schleunigst wieder in den Festtrubel hinein. Die Weihnachtsfeier hat den Charakter eines Fastnachtsvergnügens angenommen. 'Genießt den Krieg! Der Frieden wird fürchterlich!' lautet die Devise. Das Plakat wird bei der Wachablösung entdeckt. Die Wache hatte gemeldet: Keine besonderen Vorfälle. Ein solcher Fund, ein Antinaziplakat an der Führerbüste im Funkhaus [Masurenallee, Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf], muß bagatellisiert, möglichst vertuscht werden. Es darf einfach nicht passiert sein! Dennoch sickert die Tatsache durch, entfacht bei den einen geheimen Jubel, bei anderen Empörung."

S. 47f.: "[20. Juli 1944] Mein Vetter Reinhard Wagner, ein anthroposophischer Pfarrer, der damals japanischer Dolmetscher im OKH war, hatte mich mit einem seiner Kameraden, dem damaligen Unteroffizier Leo Dyk bekanntgemacht. Obwohl Dyk als Dolmetscher nur Unteroffiziersrang bekleidete, war er von Offizieren des OKH in die Umsturzpläne seit langem eingeweiht worden, da sie zu ihm, einem entschiedenen Antifaschisten, Vertrauen hatten. Darüber hinaus war Dyk im OHK der Verbindungsmann zum Nationalkommitee Freies Deutschland [Hervorhebung im Original in Großbuchstaben], das von deutschen Offizieren und Mannschaften in Moskau ins Leben gerufen worden war und mit dem er durch einen fahrbaren Geheimsender in ständigem Kontakt stand. Dieser Dyk war Chef unserer Widerstandsgruppe 'Leo III', die sich aus Geistlichen und Atheisten, Kommunisten und Deutschnationalen, Intellektuellen, Künstlern, also Menschen aller Schattierungen, zusammensetzte".

S. 49: "[Hitler am Leben] Dyk desertierte aus der Wehrmacht und tauchte unter. Er fand bei mir, später in der Wohnung des Fernsehregisseurs Fahrenburg, Unterschlupf und Asyl. Ich wurde Anfang 1945 noch zum Chef des 'Kampfsenders Prinz Eugen' gemacht. Der Sender hat niemals gesendet".

Heinrich Wilhelm Wörmann: "Widerstand in Charlottenburg", Berlin: Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1999 [PDF], S. 127: "Die Widerstandsgruppe im Haus des Rundfunks schmuggelte geheimes Nachrichtenmaterial wie die Abhörberichte der BBC, der 'Stimme Amerikas' und von 'Radio Moskau' aus dem Rundfunkgebäude [d.h. 'Seehaus'-Material], oder bereitete diese Informationen in Form von Flugblättern auf, die im OKH heimlich auf Wehrmachtsmaschinen gedruckt wurden. An drei Orten wurden die Flugblätter bis zur Verteilung deponiert: In Wagners Wohnung am Breitenbachplatz (in der sogenannten Künstlerkolonie) [Breitenbachplatz liegt in Dahlem nahe Wilmersdorf; s.a. Künstlerkommunen - artists' communities], am Deutschen Theater, wo Wagner neben seiner Funktätigkeit arbeitete, und in einer Eisenwarenhandlung am Nollendorfplatz, die von dem mit falschen Papieren lebenden jüdischen Schauspieler Josef R. Lorandt geführt wurde".

(4) Bundesarchiv, BArch R 74, "Sonderdienst Seehaus der Deutschen Auslands-Rundfunkgesellschaft Interradio AG". Bestandsbeschreibung: "1940 Übertragung der von verschiedenen Dienststellen noch bei Kriegsbeginn wahrgenommenen Aufgaben eines Rundfunk-Abhördienstes auf den 'Sonderdienst Seehaus' (benannt nach seinem Sitz im 'Seehaus' in Berlin/Wannsee). Er war zuständig für die Nachrichtenbeschaffung und -auswertung durch das Abhören ausländischer Sender. Ab 1941 wurde er an die Deutsche Auslandsrundfunkgesellschaft Interradio AG angeschlossen. Unterstellt war er zunächst nur dem Auswärtigen Amt, ab 22. Okt. 1941 auch dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda mit den Außenstellen in Paris, Bukarest, Marseille, Monte Carlo, zeitweilig Rom." BArch R 74/471: "Rundschreiben, Mitteilungen, Vorstandsbeschlüsse" enthält z.B. "Ideenskizze für ein Organisationsschema der nachrichtenpolitischen Arbeit der Interradio", Ausarbeitung des Vorstandsvorsitzenden Kurt-Alexander Mair, 1944. BArch R 74/10007: "Personalangelegenheiten.- Entlassungen, Urlaubsbescheinigungen (Einzelfälle)". BArch R 74/10009: "Lohnlisten, Kassenanweisungen, Reisekostenabrechnungen".

 

Register der Überlieferung der Übersetzungen bis 1950
Personenregister (Übersetzungen etc.)
Adressregister
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