Ursula Pommer, Übersetzerin (geb. 1922)

mit Bezug zu: Kurt Wagenseil, "Die Kultur. Eine unabhängige Zeitung mit internationalen Beiträgen", "Bloomsbury Group" (Neil Postman → George Orwell ⇆ Aldous Huxley)

In English: Short Introduction | En français: Brève introduction | Magyarul: rövid bevezető | På svenska: Kort introduktion | краткое введение | In italiano: Breve introduzione | En español: Breve introducción

 

Ursula Pommer porträtiert Kurt Wagenseil (1904-1988) in Form eines narrativen Interviews, Börsenblatt Nr. 89 vom 5.11.1976, S. 1662f.: "Übersetzer in Deutschland (4): Kurt Wagenseil. Der Mann, der Henry Miller nach Deutschland brachte". Es enthält die einzige bekannte öffentliche Äußerung Kurts über seine Internierung im Konzentrationslager Dachau. Außerdem übersetzt Ursula Pommer gemeinsam mit ihm Len Deighton: "SS-GB. Thriller", München: Heyne 1980.

Ursula Pommer portrays Kurt Wagenseil (1904-1988) in the form of a narrative interview, Börsenblatt no. 89 of 5.11.1976, p. 1662f.: "Translators in Germany (4): Kurt Wagenseil. The man who brought Henry Miller to Germany". It contains the only known public statement by Kurt about his internment in the Dachau concentration camp. In addition, Ursula Pommer translates together with him Len Deighton: "SS-GB. Thriller", Munich: Heyne 1980.

 

Eigenständige Publikation:

"Mutterwahn und Vatertic [Vatertick]. Altersunterschiede in der Partnerschaft", München: Noack-Hübner 1979, Neuausgabe München: dtv 1986.*

Porträts im "Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel":

Übersetzungen:

Frances Louise & Davis Lockridge: "Zufällig Mord. Kriminalroman" [Murder out of turn], München: Goldmann - Wollerau/Schweiz: Krimi-Verl. [1969];
Francis Durbridge: "Im Schatten von Soho. Kriminalroman" [The Pig-Tail-Murder], München: Goldmann - Wollerau/Schweiz: Krimi-Verl. 1969;
James M. Fox: "Ein Wort zuviel. Kriminalroman" [Dead pigeon], München: Goldmann - Wollerau/Schweiz: Krimi-Verl. 1969;
Charles Dyer: "Unter der Treppe. Roman" [Staircase or Charlie always told Harry almost everything], München/Wien: Langen/Müller 1970;
James Morris: "New York. Wo alle Schiffe landen" [The great port], Fotos von Albert Belva, München: Paul List 1971**;
Phyllis A. Whitney: "Gefangene der Insel. Roman" [Lost island], München: Heyne 1972;
Marilyn Cram Donahue: "Drei Schritte in den Tod. Roman" [Sutter's sands], München: Heyne 1972;
Dorothy Daniels: "Die Todesmaske. Roman" [Cliffside castle], München: Heyne 1972;
William Peter Blatty: "Der Exorzist. Roman" [The exorcist], dt. Übers. von Gisela Stege, Übers. d. Prologs von Ursula Pommer***, Wien: Molden 1972;
Nancy Weber: "Die Aquarius-Generation. Roman" [Star fever, EA 1971], München: Heyne 1972 (dnb.de: "Musikbezogener Pop-Roman"****);
Dorothy Eden: "Reise in den Tod. Kriminalroman" [The deadly travellers], München: Heyne 1973;
Virginia Coffman: "Erbschaft im Zwielicht. Roman" [Curse of the Island pool], München: Heyne 1973;
Beatrice Parker: "Der geheimnisvolle Fremde. Roman" [Stranger by the lake], München: Heyne 1973;
Josephine Tey: "Tod im College. Kriminalroman" [Miss Pim disposes], München: Heyne 1974;
Mildred Newman u. Bernard Berkowitz: "Du bist dein bester Freund. Ein guter Rat" [How to be your own best friend], in Zusammenarb. mit Jean Owen, München: Desch 1974;
Elsie Cromwell: "Der Graf und die Gouvernante. Roman" [The governess], München: Heyne 1974;
Evelyn Berckman: "Das Geheimnis jener Nacht. Kriminalroman" [The fourth man on the rope], München: Heyne 1974;
Elizabeth Peters: "Das Geheimnis der alten Schriftrollen. Roman" [The dead sea cipher], München: Heyne 1974;
Kathleen E. Woodiwiss: "Wohin der Sturm uns trägt" [The flame and the flower], München, Wien: Langen-Müller 1975;
Chuck Barris: "Ich und du, Liebling. Roman" [You and me, babe], München: Desch 1975;
Richard Davis: "Horror-Stories"*****, München/Wien: Langen Müller 1975, Taschenbuchausgabe unter dem Titel "Jeder Dämon hat seinen Preis. Horror-Stories", München: dtv 1978;
Marie de Jourlet: "Die Frauen von Windhaven. Roman" [Windhaven plantation], Bergisch Gladbach: Lübbe 1979;
Jilly Cooper: "Clarissa. Roman" [Imogen], München: Goldmann 1979;
Len Deighton: "SS-GB. Roman", Übers. gemeinsam mit Kurt Wagenseil, Wien, München, Zürich, Innsbruck: Molden 1980*;
Ronald Faux: "Reinhold Messner. Autorisierte Biographie" [A high ambition], mit einem Vorwort von Reinhold Messner, Rastatt: Moewig 1981;
Gerald Seymour: "Der Ruf des Eisvogels. Roman" [Kingfisher], München: Goldmann 1981;
"Krimiknüller Teil 3" [Alfred Hitchcock's noose report], Laurence M. Janifer: "Das älteste Motiv der Welt", Gilbert Ralston: "Ein äußerst vorsichtiger Bursche", Fletcher Flora: "Ewas ganz Besonderes", Dan J. Marlowe: "Ein kurzer, knapper Bericht", Richard Deming: "Die Beförderung", Borden Deal: "Der große Wurf", Jack Ritchie: "Nur die Nerven behalten", Jonathan Craig: "Ein unbeweinter Toter", Henry Slesar: "Der Ärger mit Ruth", München: F. Schneider 1982, Neuausgabe unter dem Titel "Augenfarbe: giftgrün", Reihe "Ravensburger Taschenbuch" Bd. 1671, Ravenburg: Meier 1988;
Andrew Stanway: "Alternative Medizin. Das Handbuch der natürlichen Heilmethoden" [Alternative medicine****/6], für d. dt. Ausg. bearbeitet und ergänzt von Hermann Lichtenstern, Reihe "Goldmann-Ratgeber", München: Goldmann 1982;
Wendy Stehling / Deborah Cox / Julie Davis: "Schlanke Beine in 30 Tagen" [Wendy Stehling: "Thin thighs in 30 days"; Deborah Cox: "Thirty days to a beautiful bottom", Reihe "Goldmann-Ratgeber", [München]: Goldmann [1983];
"Mitternachtsparty. Von und mit Alfred Hitchcock" [Tales to take your breath away], München/Wien - Hollywood/Florida USA: F. Schneider 1983****/7;
"Krimi-Knüller Teil 9. Blaue Bohnen zum Dessert" [Death can be beautiful], München: F. Schneider 1984;
Marie Winn: "Kinder ohne Kindheit" [Children without childhood], gem. Übers. mit Adam Quidam, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1984****/8;
Patricia Matthews: "Traumtanz der Liebe. Roman" [Dancer of dreams], München: Heyne 1985;
Catherine Cookson: "Der Mann am Fluss" [Fenwick houses], München: Schneekluth - Bergisch Gladbach: Lübbe 1985;
Fay Weldon: "Lebensregeln. Roman" [The rules of life], mit Illustrationen von Amanda Faulkner, München: Heyne 1988;
Anthony Summers: "J. Edgar Hoover. Der Pate im FBI" [Official and confidential], gem. Übers. mit Andreas Model, München / Berlin: Langen Müller 1993.

 

[ Anmerkungen. annotations. remarques ]

1. "Mutterwahn und Vatertic", 3. "The Exorcist", 4. Nancy Weber, 6. "Alternative Medizin", 8. "Kinder ohne Kindheit" (Marie Winn, Neil Postman), 9. "Mauern durchbrechen", 10. Debatten über Antisemitismus, 11. Ernst Nolte, Historikerstreit, 12. "Der Müll, die Stadt und der Tod", 13. Olga und Henry Carlisle

* Ursula Pommer: "Mutterwahn und Vatertic", München: Noack-Hübner 1979, S. [5] ("Vorwort"): "Der ältere Mann, der sich eine um zehn Jahre jüngere Frau nimmt, war und ist eine Selbstverständlichkeit. Die ältere Frau hingegen, die sich für einen um ebensoviele Jahre jüngeren Partner entscheidet, ist eine zweifelhafte Person. Die getuschelten Urteile über sie lauten verschieden: Entweder ist sie sexuell enthemmt, nicht schicklich und daher nicht weiblich, oder man gesteht ihr achselzuckend als mildenden Umstand einen 'Mutterkomplex' zu. Auf jeden fall kippt sie aus dem Rahmen des Üblichen und macht sich verdächtig, während ihr jüngerer Partner der Verachtung oder dem scheinheiligen Mitleid seiner Umwelt preisgegeben ist. [...] Heute haben sich die biologischen Fakten geändert, Partnersuche basiert nicht mehr auf dem Zweckmäßigkeitsprinzip der Arterhaltung und Familiengründung, sondern vorwiegend dem Lustprinzip. Der Anspruch des älteren Mannes auf eine wesentlich jüngere Partnerin kann sich daher nicht mehr von dem Wunsch nach Nachkommen herleiten [...]".

Abb. "Plaquettes de pilules contraceptives" von Ceridwen (Miniphase 2006), unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 2.0 FR (Ausschnitt, modifiziert).

S. 25 ("2. Partnerschaft so oder so - Geschichtliche Beispiele / Die Menschen der Vorzeit"): "Die Menschen, in einer mörderischen Wildnis nur mit den allergeringsten Hilfsmitteln ausgestattet, aufeinander angewiesen, lebten in Horden, in wahlloser Geschlechtsbeziehung und ohne besondere Bindung. Vaterschaft war kein Begriff, aber Frauen wurden Mütter. Die Männer sahen staunend das Wunder der Geburt, Grund zu Furcht und Verehrung. Davon zeugen vorgeschichtliche Funde: Frauenstatuetten mit überbetontem Bauch und schwellenden Brüsten, nicht zur Hervorhebung der Sexualität, sondern Symbole der Fruchtbarkeit. So regierte, bevor sich der Mann seiner Zeugungskraft bewßt wurde, die große Mutter, gleichgesetzt mit der 'Mutter Erde', die hervorbringt und, im Wechsel von Geburt und Tod, auch vergehen läßt. Aber nicht nur in der Urzeit, auch in früher geschichtlicher Zeit war vermutlich zuerst die Muttergottheit Gegenstand der Verehrung. Die frühste uns heute bekannte Religion, die der Sumerer, verehrte vor allen anderen Gottheiten eine 'Große Mutter'. Das Mutterrecht der frühen Menschheitsgeschichte, in einigen Teilen der Welt noch heute erhalten, leitet sich aus der Tatsache her, daß die Gewißheit der Abstammung nur in der Person der Mutter liegt".

S. 26f.: "Bereits zur gleichen Zeit, in der die Frauenheere [genannt werden die Amazonen] zu Kampf und Eroberung ausschwärmten, hatte sich die Umwandlung vom Mutterrecht zur vaterrechtlichen Gesellschaft vollzogen. Das einst Verehrte wurde nun herabgewürdigt. Nicht der Mutterschoß galt mehr als Fruchtbarkeitssymbol, sondern der Phallus. Die Muttergottheit wurde zum Dienen versklavt, der Mutterschoß ein Werkzeug. Aus Anbetung wurde Herablassung. Schon im Griechenland des Altertums galt die Überzeugung, daß Männer wertvoller seien als Frauen, sie allein fähig, sich mit geistigen Dingen zu befassen[.] [...] Die Anfänge der Schreckensgeschichte, die in der männlichen Ur-Angst ihre Wurzeln hat und schließlich in Haß umschlägt, wurden bereits erwähnt. Das christliche Abendland betreibt die Verteufelung der Frau in Perfektion, ihr lebensspendender Schoß wird für unrein erklärt, ihr Monatsblut als Zeichen des Fluches verabscheut, unter dem das weibliche Geschlecht seit Schließung der Paradiespforten steht. Daß nach wie vor die Urkaft des Werdens und keineswegs Sünde und höllisches Feuer Ursprung weiblicher Körperfunktion ist, ist längst aus dem männlichen Bewußstein verdrängt und vergessen. Aus Angst vor dem Mysterium ihrer Leiber und aus Furcht vor der Unsicherheit der Vaterschaft werden Frauen zur Keuschheit angehalten, denn nur die Jungfräulichkeit bietet Garantie für den eigenen Nachkommen".

Vgl. dazu auch die Artikel zu Simone de Beauvoir und William Taylour sowie die Passagen zu Valerie Solanas im Artikel zur Obelisk und Olympia Press.

2. Auflage 1986, S. 1: "Ursula Pommer, geboren 1922, studierte bis 1944 Bildhauerei. Heute ist sie freie Journalistin und schreibt für Zeitungen und Zeitschriften in Hamburg, Bonn und Zürich".

** In Kurt Wagenseils Bibliothek vorhanden.

*** "The Exorcist", London: Corgi 1974 [EA London: Blond & Briggs 1971], S. [6] ("Prologue: Northern Iraq"): "The blaze of sun wrung pops of sweat from the old man's brow, yet he cupped his hands around the glass of hot sweet tea as if to warm them. He could not shake the premonition. It clang to his back like chill wet leaves [...]"; S. [12]: "The man in khaki prowled the ruins. The Temple of Nabu. The Temple of Ishtar. He sifted vibrations. At the palace of Ashurbanipal he paused; then shifted a sidelong glance to a limestone statue hulking in situ: ragged wings; taloned feet; bulbous, jutting, stubby penis and a mouth stretched taut in a feral grin. The demon Pazuzu. [...]"; S. [13]: "He hastened toward Mosul and his train, his heart encased in the icy conviction that soon he would face an ancient enemy".

Im Film "The Exorcist" (USA 26.12.1973, Regie: William Friedkin, imbd tt0070047) wird die korrespondierende Eröffnungsszene mit Max von Sydow als Father Merrin und der Pazuzu-Statue in Hetra, Irak, gedreht.

Abb. "Assyrian bronze statuette of Pazuzu, 15cm in height, early 1st milleneum BC, Louvre" von PHGCOM unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 3.0. François Lernomant beschrieb zuerst 1873 eine Pazuzufigur als "Dämon des Südwestwindes". Karl Frank identifizierte 1909 den Namen 'Pazuzu' und Roger Moorey systematisierte 1965 dessen Ikonographie anhand der bisherigen Funde in Mesopotamien, deren Darstellungen eine ursprünglich sumerische Mythologie (ab 3. Jahrtausend v.u.Z.) in der frühen Eisenzeit (ca. 1.100 v.u.Z.) in u.a. babylonischen und assyrischen Stadtstaaten und Reichen aufgriffen. Erst nachdem allerdings Rykle Borger 1987 eine Pazuzubeschwörung aus Ninive rekonstruierte, korrigierte 1992 Pascal Charlier die Deutung von bislang Hitzewind zu Kaltwind (Nils P. Heeßel: "Pazuzu. Archäologische und philologische Studien zu einem altorientalischen Dämon", Reihe "Ancient Magic and Divination" Bd. 4, Leiden / Boston / Köln: Brill-Styx 2002, S. 2f.).

**** West Hartford News: "Author Nancy Weber releases 'Ad Parnassum'" [EA 1973, new edition 2014], Hearst Media Services Connecticut, LLC, ctinsider.com, 17 Dec 2014: "The West Hartford News was the first paper to offer Nancy Weber the life-changing thrill of seeing her byline in print. The year was 1958, she was 16, and publisher Bice Clemow offered her a dream gig, reviewing summer stock in the area, for $5 per article. Weber always dreamed of living in Greenwich Village and moved there while still in college, but she often writes passionately about her childhood on North Quaker Lane. Half the action of her 1989 novel Brokenhearted is set in greater Hartford, as is one of her Jennifer Rose romances, Twilight Embrace. [...] When her first novel, Star Fever, 'a silly work-for-hire paperback about groupies,' was published in 1971, Isaac 'Eppy' Epstein put copies in the window of Hiuntington's Bookshop in West Hartford Center. Her parents threw a big party, hiring a guitarist to write music and sing the songs for the lyrics that Weber created in the name of her musician-protagonist. Caroline Fox Weber, a painter, and Saul Weber, president of Fox Press, always encouraged Nancy's writing. Her eleventh birthday present was an Olivetti Lettera 22 typewriter. Nancy was hard at work on a mystery, 'heavily influenced by Nancy Drew', with her friend Myra Rosenstein. [...] For Weber's most successful, and controversial, book, The Life Swap, published by Dial in 1974, her parents offered 'amazing, astounding' support. The book memorializes the adventures and misadventures that rolled out when Weber put an ad in The Village Voice offering to become another woman while that woman was being Nancy. [...] Submitted on behalf of author Nancy Weber".

***** 1. Peter Odale: "Das Problemkind", 2. Kit Reed: "Winter", 3. Robert Bloch: "Der Fluch" und 4. "Die Tierschau", 5. Richard Matheson: "Die Beute", 6. Celia Fremlin: "Ruhige Spiele", 7. E.C. Tubb: "Luzifer", 8. Brian Lumley: "Davids Wurm", 9. Gary Brandner: "Jeder Dämon hat seinen Preis", 10. Gerald W. Page: "Durst".

****/6 Vgl. aber zur "Alternativen Medizin" z.B.

(1) Herbert Kappauf: "Was feht Ihnen? Woher - Wohin? - Mut für eine mitmenschliche Medizin", Norderstedt: Twentysix 2019, S. 74: "'Schulmedizin' verbreitete sich trotzdem ab 1880 als abwertender Kampfbegriff in homöopathischen Blättern und dann auch bei Anhängern der Naturheilkunde und Volksmedizin. In völkisch nationalistischen Gruppierungen bekam 'Schulmedizin' schon Ende des 19. Jahrhunderts stark antisemitische und antisozialistische Beiwörter: die Polemik gegen eine 'jüdisch-marxistisch durchsetzte' oder 'verfreimauerte Schulmedizin' war salonfähig geworden. Es war der Begriff 'verjudete Schulmedizin' in Gegenüberstellung zur 'Neuen Deutschen Heilkunde' mit dem kurz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten jüdische ärztliche Kollegen zuerst als beamtete Ärzte von ihren Lehrstühlen und Leitungsfunktionen verjagt, dann als angestellte Ärzte aus den Krankenhäusern entlassen wurden, dann schließlich ihre ärztliche Approbation entzogen bekamen. Schließlich wurden sie nach Demütigungen im Alltag deportiert, in den Suizid getrieben und ermordet, wenn ihnen nicht eine rechtzeitige Emigration gelang".

S. 65: "Somit findet sich in der Naturheilkunde in ihrer Abgrenzung zur 'Schulmedizin' und ihrem Ganzheitsverständnis unter einer sympathischen Oberfläche manche 'braune Wurzeln'".

(2) Frau Lea: "Weleda [abhängig von der Anthroposophie nach Rudolf Steiner] kommt mir nicht ins Haus", taz.de, 4.12.2023: "So gab es neben dem KZ Dachau einen 'Kräutergarten', der vom Arbeitskommando 'Plantage' bewirtschaftet wurde und in dem mindestens 800 Menschen ihren Tod fanden. Geleitet wurde er ab 1941 von den langjährigen Weleda-Gärtnern Franz Lippert und Erich Werner, die den Rang von SS-Schützen hatten. Die ehemalige Goetheanum-Gärtnerin Martha Künzel waltete als Zivilangestellte der SS ab 1942 als Leiterin der biologisch-dynamischen Versuchsabteilung. Außerdem testete der Dachauer KZ-Arzt, Massenmörder und ehemalige Waldorfschüler Sigmund Rascher den Weleda-Wind-und-Wetter-Balsam bei Unterkühlungsversuchen an KZ-Häftlingen. Weleda sagt, sie habe von den Versuchen nichts gewusst. Die benötigten Inhaltsstoffe, die zu Kriegszeiten schwer erhältlich waren, bekam sie jedoch teils direkt aus SS-Beständen. Und Weleda machte laut internen Kalkulationen zwischen 1933 und 1943 gute Geschäfte, durchaus auch mit SS und Wehrmacht. Das Umsatzvolumen stieg um 250 Prozent".

(3) Demgegenüber Toni Faltermeier: "Salutogenese", in: "Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden", hrsg. von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln 2023 [leitbegriffe.bzga.de]: "Der Begriff 'Salutogenese' markiert eine zentrale theoretische Perspektive in den Gesundheitswissenschaften und eine bedeutsame Praxisorientierung insbesondere im Feld der Gesundheitsförderung. Er wurde vom Begründer der Salutogenese, dem amerikanisch-israelischen Gesundheitswissenschaftler Aaron Antonovsky (1923-1994) als Gegenbegriff zur Pathogenese eingeführt und in einem komplexen Modell ausformuliert. In seiner Begründung argumentiert er, dass Erkenntnisfortschritte über die Gesundheit der Bevölkerung nur dann zu erwarten seien, wenn wir uns nicht ausschließlich auf die Frage der Pathogenese konzentrieren, also warum Krankheiten entstehen und wie sie behandelt werden können".

"Das Modell basiert auf einem Verständnis von Gesundheit und Krankheit als Kontinuum, es soll Bewegungen auf diesem Kontinuum erklären. Als Determinanten von Gesundheit werden Stressoren, die Art ihrer Bewältigung und verfügbare Widerstandsressourcen herangezogen. Ein Schlüsselkonzept ist das Kohärenzgefühl, das sich im Laufe des Lebens auf der Basis von Ressourcen entwickelt und aussagt, ob das eigene Leben als verstehbar, bewältigbar und sinnhaft erlebt wird".

Anton Antonovsky: "Health, stress and coping", London: Jossey-Bass 1979. Anton Antonovsky: "Unraveling the mystery of health", London: Jossey-Bass 1987, deutsch als "Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit", Tübingen: DGVT-Verlag 1997.

Abb. Jacob Theodor Tabernaemontanus: "Neu vollkommen Kräuter-Buch, darinnen über 3000 Kräuter, mit schönen und künstlichen Figuren, auch deren Underscheid und Würckung, samt ihren Namen in mancherley Sprachen beschrieben. Erstlich durch C[aspar] Bauhinum mit vielen neuen Figuren, zum anderen durch H[ieronymus] Bauhinum vermehret", Basel: Johann Ludwig König & Johann Brandmüller 1687 [VD17 39:125678B], Ausschnitt Kupferstich Detail Kräutergarten (modifiziert). Die barocke Vorstellung des im feudalen Verständnis vernünftig geordneten Gartens wirkt nach als eines der Vorbilder sowohl für die "alternativen" Anschauungen, die performative Ästhetik ihrer Gartenkunst, als auch für die in ihnen als gegnerische, "schulmedizinische" Akteure ausgemachten und ihr vermeintlich "planvolles" Tun, also für die Gestaltung der Projektionen.

****/7 1. Bill Pronzini: "Das Rätsel vom Arrowmont-Gefängnis", 2. Edward O. Hoch: "Endstation", 3. Lawrence Block: "Die Dettweilersche Lösung", 4. Robert S. Aldrich: "Eine Tasse Kräutertee", 5. Carroll Mayers: "Die Herausforderung", 6. Nelson DeMille: "Leben oder Tod", 7. Mick Mahoney: "Der Hoffnungsschimmer", 8. Fancis M. Nevins Jr.: "Der Doppeltrick", 9. James McKimmey: "Das ewige Duell", 10. Robert W. Wells: "Extraarbeit", 11. Duffy Carpenter: "Der erste Tourist zum Mond", 12. Edward Wellen: "El Jefes langer Arm", 13. Stephen Wasylyk: "Todesurteil", 14. Jack Ritchie: "Kid Cardula", 15. Jeffry Scott: "Die unsichtbare Spur", 16. Robert Edward Eckels: "Das aufgeschobene Urteil", 17. Brian Garfield: "Joe Cutters Spiel". 1977

****/8 Zeitgenössische Debatten um Kindheit und neue Technologien, insbesondere das Fernsehen:

(1) Das Buch Marie Winn: "Kinder ohne Kindheit" [Children without childhood] besteht aus "Einleitung. Irgendetwas ist passiert", "Erster Teil. Von der Abschirmung zur Abhärtung", enthaltend "Die Ohnmacht der Eltern", "Die neue Gleichheit", "Das Ende der Verschwiegenheit", "Das Ende des Spielens", "Zweiter Teil. Die Wurzeln des Übels", enthaltend "Kindheit früher", "Die neue Ära des Kindes", "Das Ende der Symbiose", "Zerbrochene Ehen", "Dritter Teil. Der Sinn der Kindheit", enthaltend "Das Ende der Unterdrückung", "Verzögerte Geschlechtsreife", "Latenz und Lernfähigkeit", "Verlängerte Kindheit", "Der Sinn der Kindheit", "Nachwort. Ein neues Mittelalter". Marie Winn, geb. 1936 als Marie Wienerová in Prag, ist auch Autorin von "Die Droge im Wohnzimmer. Für die kindliche Psyche ist Fernsehen Gift. Es gibt nur ein Gegenmittel: Abschalten" [EA 'The Plug-In Drug. Television, Children, And The Family', New York: Viking Press 1977], übersetzt von Brigitte Stein, Reinbek: Rowohlt 1979.

Ihr Vater war der Psychiater Joseph A. Winn aka Josef Wiener (1901-1983), ihre Schwester die Schriftstellerin und Journalistin Janet Malcolm (1934-2021), u.a. "Psychoanalysis. The Impossible Profession", New York: Alfred A. Knopf 1981; "In the Freud Archives", New York: Alfred A. Knopf 1984; "The Journalist and the Murderer", New York: Alfred A. Knopf 1990.

Abb. "Neptun TV-Set 1983" von Silar (2013) unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 3.0 (modifiziert).

(2) Wolfgang Nahrstedt: "Strategien offener Kinderarbeit. Zur Theorie und Praxis freizeitpädagogischen Handelns", Opladen: Westdeutscher Verlag 1986, "5.2 Kinder ohne Kindheit", S. 56f.: "Das für die Gegenwart diagnostizierte erneute Verschwinden der Kindheit führt zur paradoxen neuen Lage von 'Kindern ohne Kindheit'. Das bedeutet: Kinder werden früher als zuvor zu Erwachsenen, sie bleiben aber dennoch irgendwie auch noch Kinder. Das eigentlich Neue wird beschrieben als 'unkindliches' Verhalten (Winn 1984, S. 11), als 'sexuelle Frühreife, materialistisches Denken und kaltschnäuzige Altklugheit' (ebd. S. 11). 'Wohin man sieht, überall stellt man fest, daß sich das Verhalten, die Sprache, die Einstellungen und die Wünsche und selbst die äußere Erscheinung von Erwachsenen und Kindern immer weniger voneinander unterscheiden' ([Neil] Postman ['Das Verschwinden der Kindheit', Frankfurt: S. Fischer] 1983, S. 14), 'daß sich die Trennungslinie zwischen Kindheit und Erwachsenenalter rasch auflöst' (ebd. S. 8). Marie Winn ergänzt: 'Irgendetwas ist passiert, was die einstmals klar gezogenen Grenzen zwischen Kinderwelt und Erwachsenenwelt verwischt und die Schutzmauer durchbrochen hat****/9, die ehedem Kinder vor zu frühen Erfahrungen und den Nöten und Sorgen des Erwachsenseins bewahren sollten" (Winn 1984, S. 17). 'Wir stehen am Beginn einer neuen Epoche' (ebd. S. 18). 'Die moderne Tendenz (ist), Kinder in das Erwachsenenleben förmlich hineinzuschubsen' (ebd. S. 19). In dieser Umbruchsituation auch des Kinderbildes werden die beiden paradoxen Seiten des neuen Bildes häufig isoliert und überzeichnet. Diese beiden Einzelaspekte verdeutlichen jedoch als Pole eines Gesamtspektrums die Spielbreite des neuen Kinderbildes".

(3) Neil Postman, Marshall McLuhan, Friedrich Kittler

[3.1] Gottfried Kleinschmidt: Rezension zu Neil Postman, a.a.O., 1983 [EA 'The Disappearance of Childhood' 1982], in: "Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie", Band 33, Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht 1984, Nr. 2, S. 76f. [pe-docs.de]: "Die Idee der Kindheit ist nach Auffassung des Autors eine der 'großen Erfindungen der Renaissance, vielleicht ihre menschlichste' (S. 8). Die Idee der Kindheit ist keine biologische Notwendigkeit (vgl. Piaget), sondern ein 'gesellschaftliches Kunstprodukt' (S. 161). [...] Gerade am Fernsehen kann sehr deutlich gemacht werden, wie und warum die historische Grundlage, auf der die Trennung zwischen Kindheit und Erwachsenenalter beruht, nach und nach verfällt. [...] Für die elektronischen Medien ist es nach der Auffassung Postmans unmöglich, irgendwelche Geheimnisse zu bewahren. 'Ohne Geheimnisse aber kann es so etwas wie Kindheit nicht geben' (S. 95). Das Fernsehen ist somit das 'Medium der totalen Enthüllung'. [...Das Buch] fordert die Auseinandersetzung heraus. Die einen werden es ablehnen, weil es reaktionär und konservativ ist, die anderen werden es begrüßen, weil es auf gefahrliche Entwicklungen in unserer Gesellschaft hinweist. [...] Das Buch kann mit vielen Freunden und Widersachern rechnen".

[3.2] Andere ins Deutsche übersetze Werke von Neil Postman sind u.a. "Fragen und Lernen. Die Schule als kritische Anstalt" [EA 'Teaching as a Subversive Activity' 1969], Frankfurt am Main: März 1972; "Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie" [EA 'Amusing Ourselves to Death. Public Discourse in the Age of Show Business' 1985], Frankfurt am Main: S. Fischer 1985 (erhielt den Orwell Arward 1986, vgl. auch Andrew Postman: "My dad predicted Trump in 1985", The Guardian, 02. Feb. 2017); "Das Technopol. Die Macht der Technologien und die Entmündigung der Gesellschaft" [EA 'Technopoly. The Surrender of Culture to Technology' 1992] Frankfurt am Main: S. Fischer 1992; "Keine Götter mehr. Das Ende der Erziehung" [EA 'The End of Education' 1995], München: dtv 1995.

[3.3] Neil Postman: "Amusing Ourselves to Death. Public Discourse in the Age of Show Business", New York: Vinking Penguin - North Yorkshire: Methuen Publishing 1985, S. vii-viii: "What [George] Orwell feared were those who would ban books. What [Aldous] Huxley feared was that there would be no reason to ban a book, for there would be no one who wanted to read one. Orwell feared those who would deprive us of information. Huxley feared those who would give us so much that we would be reduced to passivity and egoism. Orwell feared that the truth would be concealed from us. Huxley feared the truth would be drowned in a sea of irrelevance. Orwell feared we would become a captive culture. Huxley feared we would become a trivial culture, preoccupied with some equivalent of the feelies, the orgy porgy, and the centrifugal bumblepuppy. As Huxley remarked in Brave New World Revisited, the civil libertarians and rationalists who are ever on the alert to oppose tyranny 'failed to take into account man's almost infinite appetite for distractions.' 'In 1984', Huxley added, 'people are controlled by inflicting pain. In Brave New World, they are controlled by inflicting pleasure.' In short, Orwell feared that what we hate will ruin us. Huxley feared that what we love will ruin us. This book ist about the possibility, that Huxley, not Orwell, was right".

[3.4] "Inspired by [Marshall] McLuhan [esp. 'Understanding media. The Extension of Man', New York: Routledge & Kegan Paul 1975], Neil Postman [1931-2003] founded the Program in Media Ecology at New York University in 1971, as he further developed the theory McLuhan had established" (WP, 2023).

[3.5] Marshall McLuhan (1911-1980) wiederum wurde geprägt durch insb. Ivor Armstrong Richards (1893-1979): "The Meaning of Meaning. A Study of the Influence of Language upon Thought and of the Science of Symbolism", co-authored with Charles Kay Ogden, with an introduction by John Percival Postgate, and supplementary essays by Bronisław Malinowski: "The Problem of Meaning in Primitive Languages", and Francis Graham Crookshank: "The Importance of a Theory of Signs and a Critique of Language in the Study of Medicine", London and New York: Harcourt, Brace & company, K. Paul, Trench, Trubner 1923 [archive.org: 1930]; Ivor Armstrong Richards: "Practical Criticism. A Study of Literary Judgement", Kegan Paul, Trench, Trubner: London 1929 [archive.org: 1930].

[3.6] S.a. Matthew Griffin, Susanne Herrmann: "Technologies of Writing. Interview with Friedrich A. Kittler" [1943-2011; s. Merve], in: New Literary History, Vol. 27, No. 4, Literature, Media, and the Law (Autumn, 1996), S. 731-742, insb. S. 738f.:

"[Kittler:] That the media influence bodies through emergence and immersion, on that point we both agree. However, I don't believe in the old thesis that thus the media are protheses of the body [Marshall McLuhan's reading of the media as 'extensions of man'], which amounts to saying, in the beginning was the body, then came the glasses, then suddenly television, and from the television, the computer. The mythology is that everything frees itself from the body, dissolves and submerges in it again, in the sense of emergence and immersion, virtual reality, cinemascope, and hallucination. [...] Rather, I think, it's a reasonable hypothesis to say that the media, including books and the written word, develop independendy from the body. Even then, if you want to, you can describe how, through advertising or commercial means, the media influence and separate bodies.

[Interviewer:] This is not exactly the most typical media critique in the philologies. [Max] Horkheimer and [Theodor W.] Adomo's chapter on the 'Culture Industry: Enlightenment as Mass Deception' still seems to be read as the suitable description of our current cultural landscape. The technologies which, in their view, make 'man' possible also make possible the literal end of mankind in Auschwitz and Hiroshima. In contrast to the Frankfurt School's pessimistic assessment, one has the technological positivism of media theorist Norbert Bolz's remark: 'The face-to-face conversation does not function better than a teleconference. On the contrary, the more technological the communication is, the more progress communication is making.'

[Kittler:] I don't want to tie myself down with the question, apocalypse now or not. I think Dialectic of Enlightenment is quite clear on that point. Horkheimer and Adorno treat Goebbels's war propaganda and Hollywood propaganda as two facets of the same phenomenon. One is military and the other commercial, but the authors examine them as parallel aspects. That's the appalling thing about the book. But it also makes sense because it establishes a sort of system theory. It would be nonsense to say that the technological media are all fatal and apocalyptic because the apocalyptic dangers which we constantly activate and engage are not only provoked by the media but can also be discovered by them".

The European Graduate School (Saas-Fee, Switzerland, and Valletta, Malta), Division of Philosophy, Art & Critical Thought: "Biography Friedrich Adolf Kittler", 2019 (egs.edu/biography/friedrich-kittler†): "Media are not pseudopods for extending the human body. They follow the logic of escalation that leaves us and written history behind it".

Abb. "Formant Synthesizer (1983) von Friedrich Kittler, Literaturmuseum der Moderne, Marbach", Bild von ChickSR unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 (modifiziert).

(4) John Carpenters Film "They live!" ("Sie leben!") von 1988 erzählt die Geschichte des arbeitslosen Ölarbeiters John Nada, gespielt von Roddy Piper (imdb tt0086256). Nada begegnet zuerst Frank, gespielt von Keith David, der ihn für den Klassenkampf gewinnen will, doch John glaubt an sein persönliches Glück im amerikanischen Traum. Bei einer Polizeirazzia fällt ihm eine besondere Brille in die Hände, durch die Brille werden nicht nur hinter Werbebotschaften manipulative Befehle sichtbar, "aliens with skull-like faces" werden als unter den Menschen lebend erkennbar; ihr geheimer Plan sei es, mittels globaler Erwärmung die Erde ihrem Heimatplaneten anzugleichen.

Bereits bei "Charlie and the Chocolate Factory" von Roald Dahl (London: George Allen & Unwin 1964) nährt und bestraft Fabrikunternehmer Willy Wonka Süchte nach Schokolade, Kaugummi und Fernsehen. Während die anderen Kinder auf diese Weise bei der Fabrikbesichtigung ausscheiden, widersteht Charlie und wird deshalb von Wonka zu seinem Erben erklärt.

Abb. "Epiphany Eyewear" von Erick Miller unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 2.0 (modifiziert).

(5) Karl Koch: "Von der Lust, ein Dark-Side-Hacker zu werden", 1986, in: "Dokumentation über Karl Koch", hrsg. von Freke Over, Hannover: Selbstverlag 1989, S. 28f.: "Der Cyberspace ist real. Es ist ein Fakt, dass sich die Köpfe der Speicherplatten bewegen, wenn du eine Taste drueckst, egal ob der Rechner in Hamburg oder Kalifornien steht. // Auch du bist real im Cyberspace. Du gibst dir zwar einen anderen Namen, um Deine Identitaet zu kaschieren, das aendert aber nichts daran, dass Dein realer Kopf bestimmt, was die Maschine tut. Du kannst mit anderen Personen im Cyberspace in Kontakt treten. Du schreibst etwas, der andere kann es auf seinem Schirm lesen. Die Schrift ist fuer Dein Gegenueber die einzige Inkarnation Deiner selbst, Dein Gespraechspartner hat nur die Buchstaben auf dem Bildschirm als Beweis Deiner Existenz. Du kannst ihm erzaehlen, Du waerst vom Mond, und er muss es glauben oder lassen. Die Kommunikation beschraenkt sich auf den puren Text, die pure Information. [...] Die Mikroelektronik und die elektronische Kommunikation stellen eine neuartige Technologie dar, deren Auswirkungen auf die Gesellschaft mit denen des Telefons und des Fernsehens zu vergleichen sind. Die elektronischen Medien loesen heute Revolutionen aus, sie steuern die Weltwirtschaft, sie sind zu einem Teil unseres Lebens, unserer allgegenwaertigen Realitaet geworden. Die Entwicklung bietet jede Menge Platz für Negativvisionen - Der glaeserne Mensch, Kommunikationsprofile und Big Brother sind die Schlagwoerter. [...] Es wird Zeit, dass sich die politisch Denkenden dazu durchringen, ihr Unbehagen gegenueber der elektronischen Kommunikation ablegen, und stattdessen lernen, offensiv mit den Herausforderungen umzugehen. Es nutzt nichts, den Kopf in den Sand (oder in die gute alte Zeitung) zu stecken, und zu warten, bis man zum Mitmachen gezwungen wird. Lernt, kreativ mit den Herausforderungen unserer Zeit umzugehen. Wissen ist Macht, wer sich dem Wissen aus Arroganz oder Furcht verschliesst, wird in Zukunft als Beherrschter dastehen".

(6) Über "Die psychologischen Wirkungen des Fernsehens" äußert sich auch John Steinbeck, sogar in einer Fachpublikation, Albert Wellek: "Gesamtverzeichnis der deutschsprachigen psychologischen Literatur der Jahre 1942 bis 1960", 1965, S. 425, Nr. 922, übersetzt von Hans B. Wagenseil, in: "Universitas", Band 10, 1955, Heft 8, S. 785-790.

Eine Rezension von M. Niederhöffer, in: "Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse", Band 9, 1956, Heft 12, S. 948: "Es klingt bestrickend einfach, wenn wir erfahren, wie der achtjährige Sohn des Nobelpreisträgers J. Steinbeck seinen Vater über die Vorgänge auf dem Bildschirm aufklärt. Mit geöffnetem Mund und wie mit hynotisiertem Augenausdruck sitzt er da und kommentiert mit der als Fernsehstimme bekannten Sprechweise des Schlafwandlers: 'Der mit dem weißen Hut und dem unbewegten Gesicht, das ist immer wieder der Brave. Der mit dem schwarzen Hut und schielend-höhnischen Ausdruck, das ist immer der Böse. Und der mit grauem Hut? Der steht zwischen beiden. Fängt er bös an, endet er gut - und fängt er gut an, endet er schlecht. Das ist doch so einfach. Das weiß doch jedermann!' Genau so aber sitzen heute Millionen von Kindern und Erwachsenen viele Stunden des Tages wie in Trance vor dem Fernsehapparat und nehmen neben einer Menge zusammenhanglosen Wissens diese alles versimplizierende, standardisierende 'Weltanschauung' auf. Bestrickend einfach. Aber wenn man dann weiterliest: 'Eine ganze Generation in diesem Lande fällt ihre Urteile auf dieser Basis', so fragt man sich doch beunruhigt, wohin steuern wir, wenn, während so viel von Völkerverständigung geredet wird, in der gleichen Zeit durch eine solche Teilung der Welt in Schwarz und Weiß das Verständnis des Einzelnen für sich selbst und für die Mitmenschen in immer weitere Fernen gerückt erscheint? Denn - die Weißen, die Braven, das sind doch dann immer wir - und die Schwarzen, die Bösen, das sind doch dann immer die anderen, der andere Mensch, das andere Volk. Gewiß, der Titel des Aufsatzes sollte richtiger heißen: die psychologische Wirkung der heutigen Fernsehprogramme - nicht des Fernsehens. Aber wie auch immer, die Mahnung ist nicht gleichgültig, denn jedes Heute bereitet ein Morgen vor".

****/9 Apropos "[M]auer[n] durchbr[e]chen":

"Als die Drucker und Setzer im Jahr 1984 streikten und die Frankfurter Allgemeine Zeitung sogar eine Notausgabe mit Hubschrauber aus dem blockierten Verlagsgebäude herausfliegen mußte, stand am Vormittag in der Börsenredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Telefon nicht still. Die Leser, die ihre tägliche Zeitung nicht erhalten konnten, erkundigten sich nach dem Stand des F.A.Z.-Aktienindex und nach den Kursen einzelner Aktien" (Gerhard Henrich: "Alles über die Zeitung. Frankfurter Allgemeine, Zeitung für Deutschland", Frankfurt am Main: Verlag Frankfurter Allgemeine Zeitung 1987, S. 85).

"Der Präsident des Zeitungsverlegerverbandes, [Alfred] Neven DuMont, soll gesagt haben: 'Die Technik ist denn auch der eigentliche Sieger im Tarifkonflikt'" (Siegfried Mielke: "Geschichte der Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland. Von den Anfängen bis heute", Frankfurt am Main: Bund-Verlag 1990, S. 434f.).

"Der Spiegel", Nr. 29/1984, 15. Juli 1984, "Drucker-Streik: Auf der Strecke": "Doch weit bedrohlicher als der Mißmut der Mitglieder ist für die Gewerkschaft die entscheidende Lehre aus dem erbitterten Arbeitskampf: Die Durchschlagskraft der IG Druck und Papier nimmt ab. Obwohl die Gewerkschaft in den letzten Streikwochen Tag für Tag über 10 000 Arbeitnehmer in über 100 Betrieben zum Streik aufrief, schafften es die Verleger immer wieder, ihre Blätter auf den Markt zu bringen. Streikposten beim Springer Verlag in Hamburg oder der 'Rheinischen Post' in Düsseldorf standen morgens ratlos vor dem Firmeneingang. Am Kiosk nebenan hingen die druckfrischen Zeitungen, obwohl die Gewerkschafter nach Kräften gestreikt hatten. Mancherorts erschienen die Blätter zwar nur in dünnen Notausgaben, häufig aber in so wenig reduziertem Umfang, daß viele Leser vom verbissenen Arbeitskampf in der Druckindustrie kaum etwas bemerkten. [...]

Der Druckerstreik '84, das ist die Lehre, hat die veränderten Machtverhältnisse im Gewerbe zutage gebracht. Streikbrecher hat es zwar immer gegeben, aber früher nützten sie dem Verleger nicht viel. Die Herstellung einer Zeitung war ein komplizierter, zeitlich genau abgestimmter Prozeß in mehreren Stufen, der die reibungslose Zusammenarbeit vieler Werktätiger erforderte. Nur wenn Setzer den Bleisatz lieferten, Metteure die Seiten umbrachen und Drucker die Rotationsmaschinen anwarfen, konnte die Zeitung erscheinen. Das ist durch neue Satzcomputer und gigantische Druckmaschinen, die durch wenige Spezialisten zu bedienen sind, anders geworden. Streiks lassen sich heute leicht mit einigen qualifizierten Hilfswilligen, Lehrlingen und leitenden Angestellten unterlaufen. 'Da genügen pro Ausgabe zehn Mann in der Technik', weiß IG-Druck-Vize Detlef Hensche. [...] Setzer und Metteure, früher mal die Kerntruppe der IG Druck, sind dadurch bei der Herstellung der 'Welt' überflüssig geworden. Der Lichtsatz hat ganze Produktionsstufen entfallen lassen. [...]

Ist die Zeitung erst mal gedruckt, können die Streikposten am Werkstor ihre Auslieferung nur verzögern, aber nicht völlig verhindern. Lückenlose Blockaden sind nicht erlaubt. Notfalls läßt die Verlagsleitung die Zeitung, wie in Wetzlar und Frankfurt geschehen, einfach mit dem Hubschrauber ausfliegen. Die ungewöhnlich rauhen Methoden, mit denen Streikende an manchen Verlagstoren arbeitswillige Mitarbeiter behandelten, ist wohl vor allem mit dem Trend der Technik zu erklären. Ohnmächtig****/10 müssen die Gewerkschafter zusehen, wie der Streik, ihr wichtigstes Kampfmittel, seine Wirkung verliert".

"Der Spiegel", Nr. 26/2003, 22. Juni 2003, "Zur Schicht mit dem Helikopter": "Per Luftbrücke musste die Produktion des Dresdner Automobilzulieferers 'Federal Mogul' diese Woche aufrecht erhalten werden. Mitarbeiter, Schlafsäcke, Zahnbürsten und Proviant wurden eingeflogen - fertige Kolbenringe wieder raus. Vergleichbares hat es in Deutschland noch nicht gegeben".

Die Rock-Oper "The Wall" (1979) der britischen Band Pink Floyd um Syd Barrett, Roger Waters, David Gilmour und Richard Wright erzählt die Geschichte von Pink, einem jungen, als Musiker erfolgreichen Mann, der aufgrund der der Abwesenheit seines im Krieg gefallenen Vaters ("Another Brick in the Wall Part I", "When the Tigers Broke Free"), Zurückweisung in Liebesbeziehungen ("Don't Leave Me Now") und dem Autoritarismus der Schule ("The Happiest Days of Our Lives", "Another Brick in the Wall Part II") eine imaginäre Mauer um sich errichtet und sich - schließlich vor dem Fernseher - isoliert ("Hey You", "Goodbye Cruel World", "Nobody Home"), Betäubungsmittel nutzt ("Comfortably Numb") und Wahnvorstellungen entwickelt ("Run Like Hell"), in denen er zu einem faschistischen Agitator wird, der in seiner Wut auf die Welt gegen Minderheiten hetzt ("Waiting for the Worms", "In the Flesh"). Schließlich brechen Gefühle durch ("Stop"), Pink geht mit sich ins Gericht ("The Trial"), die Mauer ist niedergerissen ("Outside the Wall").

Abb. "Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB)/Kawasaki Heavy Industries BK 117" (Einführung 9. Dezember 1982) von Nachoman-au unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 3.0 (modifiziert).

****/10 Meron Mendel: "Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Herausforderungen antisemitismuskritischer Bildungsarbeit", in: "Aus Politik und Zeitgeschichte", Nr. 26/27 2020, S. 36-41 [bpb.de], S. 36: "Besonders seit Mitte der 1980er Jahre beschäftigte sich die bundesrepublikanische Öffentlichkeit regelmäßig mit Debatten über Antisemitismus. Eine sehr prominent geführte war die Diskussion über die Äußerungen von Ernst Nolte im sogenannten Historikerstreit [1986/87****/11], der die nationalsozialistischen Verbrechen lediglich als Reaktion auf das Gulag-System der Sowjetunion verstanden wissen wollte. In der Folge wurde die Singularität des Holocaust von zahlreichen prominenten Stimmen infrage gestellt [Anm. 3: "Singuläres Auschwitz? Ernst Nolte, Jürgen Habermas und 25 Jahre 'Historikerstreit'", hrsg. von Mathias Brodkorb, Banzkow: Adebor Verlag 2011]. Die Proteste gegen die Uraufführung des umstrittenen Theaterstücks 'Der Müll, die Stadt und der Tod' von Rainer Werner Fassbinder 1985 sind ein weiteres Beispiel****/12. Die Kritik richtete sich dabei insbesondere gegen die rein negative Darstellung eines jüdischen Geschäftsmanns ('der reiche Jude'), in dem Zeitgenossen unschwer Ignatz Bubis, viele Jahre in unterschiedlichen Funktionen in der jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main und im Zentralrat der Juden in Deutschland engagiert, erkennen konnten [Anm. 4: Vgl. Janusz Bodek: "Die Fassbinder-Kontroversen. Entstehung und Wirkung eines literarischen Textes", Frankfurt/M.: Peter Lang 1991]. Bei beiden Debatten fällt auf, wie sehr das Bedürfnis, über vermeintlich jüdische oder alliierte Verbrechen zu sprechen, als Ausdruck einer Normalisierung empfunden wurde: Die Zurückhaltung in diesen Dingen wurde als künstlich, eigentlich unnötig und als Abweichung vom Regelfall konstruiert. Antisemitische Narrative wurden als Normalität gesehen. Abweichung seien die aufgrund ihrer Geschichte zum Schweigen verdammten Deutschen. Fand dies in den vorangegangenen Debatten vor allem unterschwellig statt, wurde dies 1998 in der Rede des Autors Martin Walser in der Frankfurter Paulskirche zum ersten Mal eindeutig artikuliert. [...] Diese Rede eines bis dato eher dem linksliberalen Spektrum zuzuschreibenden Autors kann als Geburtsstunde eines neuen nationalen Selbstverständnisses gedeutet werden, in welchem die Aufarbeitung der Vergangenheit als abgeschlossen gilt: als eine von außen auferlegte Strafarbeit, die nun aber erledigt sei und sogar zu neuem nationalen Selbstbewusstsein berechtige".

Ronald M. Schernikau: "Die Tage in L. Darüber, dass die DDR und die BRD sich niemals verständigen können, geschweige mittels ihrer Literatur", Hamburg: konkret Literatur-Verlag 1989, S. 12: "die bundesrepublik deutschland hat einen einzigen satz hervorgebracht. der satz ist in einem maße genial, daß aller protest zum gemeckere wird, alle beschimpfung zum lob. es ist der satz eines faschisten, der dann nicht mehr als faschist arbeitete, und der dazu gebracht werden sollte, sich zum faschismus zu äußern. dieser mann sprach einen einzigen satz, und als er diesen satz gesprochen hatte, war klar, daß es niemals eine erwiderung geben würde, keine antwort, keine selbe welt. der satz lautete: ich erinnere mich nicht".

***/11 In Kurt Wagenseils Bibliothek vorhanden ist Ernst Nolte: "Faschismus. Von Mussolini zu Hitler", München / Wien / Basel: Kurt Desch 1968. Ernst Nolte: "Die Vergangenheit, die nicht vergehen will. Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte", FAZ, 6. Juni 1986, zitiert nach: "Historikerstreit. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung", hrsg. von Ernst Reinhard Pieper, München/Zürich: Piper 1987, S. 44f.: "Als Hitler am 1. Februar 1943 die Nachricht von der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad erhielt, sagte er in der Lagebesprechung gleich voraus, daß einige der gefangenen Offiziere in der sowjetischen Propaganda tätig werden würden: 'Sie müssen sich vorstellen, er (ein solcher Offizier) kommt nach Moskau hinein, und stellen Sie sich den ›Rattenkäfig‹ vor. Da unterschreibt er alles. Er wird Geständnisse machen, Aufrufe machen...' Die Kommentatoren geben die Erläuterung, mit 'Rattenkäfig' sei die Lubjanka gemeint. Ich halte das für falsch. In George Orwells '1984' wird beschrieben, wie der Held Winston Smith durch die Geheimpolizei des 'Großen Bruders' nach langen Folterungen endlich gezwungen wird, seine Verlobte zu verleugnen und damit auf seine Menschenwürde Verzicht zu tun. Man bringt einen Käfig vor seinen Kopf, in dem eine vor Hunger halb irrsinnig gewordene Ratte sitzt. Der Vernehmungsbeamte droht, den Verschluß zu öffnen, und da bricht Winston Smith zusammen. Diese Geschichte hat Orwell nicht erdichtet, sie findet sich an zahlreichen Stellen der antibolschewistischen Literatur über den russischen Bürgerkrieg, unter anderem bei dem als verläßlich geltenden Sozialisten Melgunow. Sie wird der 'chinesischen Tscheka' zugeschrieben. [...] War nicht der 'Archipel Gulag' [Alexander Issajewitsch Solschenizyn: 'Архипелаг ГУЛАГ', Manuskript ab 1958, Paris: YMCA-Verlag 1973****/13] ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der 'Klassenmord' der Bolschewiki das logische und faktische Prius des 'Rassenmords' der Nationalsozialisten? Sind Hitlers geheimste Handlungen nicht gerade auch dadurch zu erklären, daß er den 'Rattenkäfig' nicht vergessen hatte? Rührte Auschwitz vielleicht in seinen Ursprüngen aus einer Vergangenheit her, die nicht vergehen wollte?".

Richard Herzinger: "Er sagte zuerst, was die AfD jetzt denkt", Welt, 2016: "Seine Thesen, die auf nichts weniger hinausliefen als eine grundlegende Revision des Umgangs mit der NS-Vergangenheit, der sich in der Bundesrepublik durchgesetzt hatte, verkleidete er in suggestive Fragen, die den Eindruck erwecken sollten, nicht er selbst habe sie in gezielter Absicht ersonnen. Vielmehr müssten sie sich jedem ernsthaften Forscher gleichsam objektiv aufdrängen, der nicht von 'volkspädagogischen' Vorurteilen über die deutsche Schuld, sprich von der geistigen 'Reeducation' der Deutschen nach 1945 durch die West-Alliierten verblendet sei".

****/12 Michael Brenner: "1985. Theaterskandal in Frankfurt", "Unsere Serie über die Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945", Folge 40, Jüdische Allgemeine, 05.08.2013: "Was antisemitisch ist, darüber wurde und wird regelmäßig heftig gestritten. Selten aber mit einer derartigen Vehemenz wie im Herbst 1985, als der neue Intendant des Frankfurter Schauspielhauses, Günther Rühle, das Theaterstück Der Müll, die Stadt und der Tod von Rainer Werner Fassbinder [verfasst 1975, unter Verwendung von Motiven des Romans "Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond" von Gerhard Zwerenz, Frankfurt: S. Fischer 1973] wieder ins Programm nahm, nachdem es im Jahr vorher aufgrund des Protests der jüdischen Gemeinde abgesetzt worden war. Das Drama traf mehrere Nerven auf einmal. Ganz allgemein musste man sich fragen, ob ein Stück, dessen negativer Protagonist einfach 'der reiche Jude' hieß, in Deutschland 40 Jahre nach der Schoa aufgeführt werden könne und solle. Zudem fühlten sich die Frankfurter jüdischen Immobilienmakler als Sündenböcke für die allgemeine Wohnungsmisere angeprangert. Den Hintergrund hierfür bildete ein jahrelanger, wenn nicht jahrzehntelanger antijüdischer Grundton in den Diskussionen um Frankfurter Bauspekulationen. Das Ganze spielte sich in einer ohnehin schon aufgeladenen Atmosphäre ab, nachdem im Mai Bundeskanzler Kohl und US-Präsident Reagan den Soldatenfriedhof in Bitburg mit seinen Waffen-SS-Gräbern besucht hatten".

Seyla Benhabib, Moishe Postone & Andrei S. Markovits: "Rainer Werner Fassbinder's Garbage, the City and Death. Renewed Antagonisms in the Complex Relationship Between Jews and Germany in The Federal Republic of Germany. A Round Table Discussion", in: "New German Critique", Band 13, 1986, S. 3-27.

S. 17 (Seyla Benhabib): "Many critics have failed to comment on the rather heavy-handed significance of the fact that the Nazi is a transvestite, becoming something at night that he is not during the day. I think this is an allegory for the way in which Fassbinder sees West German society. He finds fascism lurking beneath the complacent exterior of technocratic capitalism. [...] Fassbinder's message seems to be that society is full of crypto-Nazis".

S. 21f. (Moishe Postone): "As most of you know, during the 1970s in Germany - and particularly in Frankfurt - the New Left did not disappear as in France and the United States, for example, but remained significant as a social and cultural force, although it was in a constant process of change and transformation. One of the things that characterized the New Left in Frankfurt was that neither orthodox communism nor Maoism ever gained a significant foothold. The 'hegemonic tendency' - for lack of a better term - in Frankfurt was referred to as 'sponti' for Spontaneous Left. Its history can be traced to a series of loosely structured struggles and campaigns beginning with organizing attempts in the factories and among foreign workers in the early 1970s, the formation of various solidarity committees through the anti-nuclear power plant movement of the late 1970s, to the peace movement of the 1980s, and the rise of the Green Party".

S. 24f.: "The play, as far as I'm concerned, is a play about a destroyed society and anti-Semitism. Anyone who is familiar with Fassbinder's work knows the extent to which he, probably more than any other post-war German artist, wrestled with the problems of Germany's immediate past and the interpenetration of past and present, normality and abnormality, in German society and in himself. Fassbinder took a novel by Gerhard Zwerenz which dealt with the destruction of the Westend, and which, in my opinion, does have anti-Semitic overtones, and sought to transform the historical and literary material into a play about anti-Semitism. I don't think he completely succeeded. The play has traces of both: it's essentially about anti-Semitism, and it has anti-Semitic moments. With its expressionist crudeness, the play was to be a mirror within which Frankfurt recognized itself. It reflected the anti-Semitism that was strong among parts of the population in Frankfurt at the time of the Häuserkampf. Instead of serving as a mirror, however, the play has been regarded by most as a window, and I consider this to be the real problem. It has been regarded by the overwhelming majority of those engaged in the controversy - with some significant exceptions - as being either about a rich Jew and a couple of other unsavory characters, or about real estate speculation."

S. 27: "What would have been required on the part of the Left, in other words, would have been reflection not only about the extent to which anti-Semitism is alive in Germany, but more fundamentally, what anti-Semitism is. Such a discussion would have raised some questions about the trickynature of a social struggle in Germany fought in - pardon my terminology - the sphere of circulation, which is necessarily populist".

Dokumentationen der Debatte: "Fassbinder ohne Ende. Eine Dokumentation anlässlich der Uraufführung von Rainer Werner Fassbinders Theaterstück 'Der Müll, die Stadt und der Tod', Frankfurt: Schauspielhaus 1985; "Der Fall Fassbinder. Dokumentation des Streits um 'Der Müll, die Stadt und der Tod' Frankfurt: Schauspielhaus 1987; "Der Müll, die Stadt und der Skandal. Fassbinder und der Antisemitismus heute", hrsg. von Reiner Diederich und Peter Menne, Frankfurt: Nomen 2015.

Abb. "Frankfurt-Westend, Duo" von Luidger unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 3.0 (modifiziert).

****/13 Henry und insbesondere Olga Andreyeva Carlisle übersetzten Solschenizyn ins Englische, "The Gulag Archipelago": "During one of her visits to the Soviet Union, [Olga] Carlisle was introduced to Aleksander Solzhenitsyn, and assisted the dissident author in smuggling manuscripts of both The First Circle and The Gulag Archipelago to the West for publication. Together with her husband, Carlisle provided English translations for both works and found American publishers, although their relationship with Solzhenitsyn eventually soured, as Carlisle described in her memoir Solzhenitsyn and the Secret Circle (1978)" (Anmherst Center for Russian Culture, The Olga Carlisle Collection, amherst.edu, 2012). "The Gulag Archipelago, 1918-1956. An Experiment In Literary Investigation, I-II" erschien schließlich in der Übersetzung von Thomas P. Whitney, New York: Harper & Row, 1974. "During the 1950s he [Henry Carlisle] was an editor at Alfred A. Knopf and Rinehart & Co. in New York. At Knopf he helped edit the English translation of Camus' 'The Myth of Sisyphus.' He also co-founded a publishing house, Purdy, Carlisle & Dodds, serving as editor and publisher in 1960-61 before devoting himself to writing novels" (Elaine Woo: "Henry Carlisle dies at 84; author, translator helped bring Solzhenitsyn's work to Western audiences", Los Angeles Times, 30. Juli 2011). Henry Carlisle: "Voyage to the first of December", New York: G.P. Putnam's Son 1972, erschien bei Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1973, in der Übersetzung von Kurt Wagenseil. Von Solschenizyn befindet sich in Kurts Bibliothek "August Vierzehn" [EA 1971], Übersetzung von Swetlana Geier, Darmstadt / Neuwied: Luchterhand 1972.

 

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